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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Fremde
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französisch, so daß sie angestrengt die
fremdsprachlichen Relikte ihrer Gymnasialzeit hervorkramen müssen. Und die
sarazenenbraunen einheimischen Stubenmädchen stellen jeden zweiten Tag frische
Blumensträuße auf die Tische der meerseitigen, mit Badezimmern ausgestatteten
Appartements.
    Die
Rechnung, in welcher Sprache sie auch verlangt wird, nennt der einstige
Steward mit zäher Beharrlichkeit facture. Mit Ausnahme des Speisesaals,
wo zu jeder Tagesstunde gedeckt oder abgeräumt wird, und des mit türkischen
Diwanen vollgestopften Vestibüls , wo der vom Speisesaal hereindringende
abgestandene Dunst den Aufenthalt unerträglich macht, verfügt das ehemalige
Liebesnest über keinen Gesellschaftsraum entsprechender Größe. So bleibt dem
Gast, der länger als drei Tage verweilt, nichts anderes übrig, als möglichst
bald in die zwangsläufig intime, ein wenig schmatzende Zusammengehörigkeit
einzutauchen, die den Bewohnern des Hauses von den gemeinsamen Mahlzeiten, dem
gemeinsamen Strand, der gemeinsamen Terrasse und den gemeinsamen Badezimmern
aufgenötigt wird.
    Wie immer
an solchen Orten ist die Atmosphäre von aktuellem Klatsch und der
elektrisierten Erregtheit intimer, scharfer Beobachtungen geschwängert. Die
Paare treffen in unregelmäßigen Abständen ein, und ihr Erscheinen erzielt
nahezu theatralische Wirkung.
    »Wie
Trockenluft im Dampfbad«, sagt auf französisch der in Rohseide gekleidete, an
den Schläfen auf verdächtige Weise ergraute, ansonsten auffallend junge
kaffeebraune Herr, der seit zwei Tagen galante gesellschaftliche Erfolge
verbuchen kann. Er flüstert es der kroatischen Dame zu, in deren Begleitung er
den Speisesaal betritt, dieser vornehmen, jungmütterlich rundlichen Dame aus
Zagreb, die hier mit ihren zwei Kindern und einer Erzieherin Urlaub macht und
im Erdgeschoß des Argentina mehrere meerseitige Zimmer gemietet
hat. Der kaffeebraune Herr, der auch dem Publikum einige Krümel seines
Triumphes gönnt, beißt sich lustvoll auf die Lippe, während er seiner
Begleiterin die unfeine Bemerkung ins Gesicht flüstert.
    Die Fenster
ihres Zimmers gehen direkt auf die Terrasse. Die Vor- und Nachteile der
Erdgeschoßlage werden sogar schon von den Stubenmädchen offen diskutiert.
Verständlich, daß die bürgerliche Gesellschaft des dichtbevölkerten Hauses eine
derartige Vielfalt des Liebeslebens merkwürdig findet. Erst drei Tage ist es
her, daß die Zagreber Familienmutter mitternächtliche Besuche eines Offiziers
der dalmatinischen Handelsflotte empfangen hat, durch das Fenster des
ebenerdigen Appartements, wenn man den scharfen Beobachtern Glauben schenken
darf. Die leidenschaftliche Dame, die mit einem Rilke-Gedichtband in der Hand
tagelang zwischen dem Strand und den Terrassengärten spazierengeht – sie nimmt
das Buch auch auf den Tennisplatz mit, wo sie allerdings nicht spielt, auch
nicht liest, sondern sich mit jedermann lebhaft und freundlich unterhält –,
beschenkt, kaum daß im Hafen das Lastschiff Dubrovnik II die Anker
gelichtet hat, den zufällig auftauchenden kaffeebraunen Herrn, von dem nicht
mehr bekannt ist als seine türkische Nationalität und seine Vorliebe für
rohseidene Kleidung, mit den auffälligen Zeichen ihrer Sympathie.
    Die
Mitglieder der deutschen Gesellschaft – die sich einzeln und unter vier Augen
eher schüchtern und
höflich, ja beinah verzagt zeigen, wie sich die Angehörigen dieser großen
Nation in der Fremde manchmal verhalten, als fürchteten sie ständig, wegen
irgendeiner dunklen Erbsünde zur Verantwortung gezogen zu werden, die jedoch in
der Gruppe umso kühner und kritikfreudiger sind – begleiten auch jetzt den
Einzug der leidenschaftlichen kroatischen Mutter und ihres verdächtigen
Begleiters mit ihren Bemerkungen. Aus dem Stimmengewirr, das die Ankommenden
empfängt, ist auch das Wort »Balkansitten« herauszuhören. Dann werden sie aber
doch in den Kreis aufgenommen: mit dem solidarischen Lächeln, das man seinen
Leidensgefährten inmitten der Unbilden von Atmosphäre und Natur nicht
verweigern kann.
    Die Lage
ist wirklich kritisch. Das Wetter mildert jedes Vorurteil. »Erstaunlich«, sagt
die braune Dame mit den angenehmen Gesichtszügen, Ehefrau des kugelbäuchigen
Herrn im Pyjama, leise zu ihrer Nachbarin, »erstaunlich, daß sie in diesem
Klima noch Lust dazu hat.« Die Bemerkung ist praktisch und menschlich. Sie
nicken.
    Der
türkische Herr sucht für die vornehme kroatische Dame einen Platz. »Wie bei
uns«, sagt er, während er
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