Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Fremde
Vom Netzwerk:
und lächelt. Doch die Damen werfen ihm nur matte, ratlose
Blicke zu, und niemand rührt sich. Wie manche Insekten spielen sie im
Augenblick der Gefahr Reglosigkeit und Scheintod.
    »Zeppelin –
macht – Arktisfahrt«, trägt der Porzellanfabrikant im Stakkato aus der Zeitung
vor; er läßt sich von der Rebellion der Elemente nicht abschrecken und hält es
für nötig, diese halb Besinnungslosen über Neuigkeiten aus der zivilisierten
Welt zu informieren. Als Resonanz der Nachricht erfolgen einige kraftlose
Bemerkungen über die klimatischen Verschiedenheiten der Erde und die
Überlegenheit der deutschen Technik. Unter den bunten Sonnenschirmen beginnt
die Hitze zu stinken. Seltsam, die Sonne ist gar nicht zu sehen. Nichts verrät
den Ursprung der Hitze, als handelte es sich um eine Luftheizung aus nicht
wahrnehmbaren Behältern.
    Die Gestalt
des Händlers, sein schwarzer schlanker Oberkörper, hebt sich neben der
Steinmauer so scharf vom hellgrauen Hintergrund ab, so zerbrechlich und
schwankend, als wäre er Teil der Flora und würde gemeinsam mit der Landschaft
atmen, sich bewegen und aufblühen, gemeinsam mit den Ölbäumen und Kakteen, die
sich unter dem Druck des warmen Luftstroms zuweilen schwerfällig bewegen.
Dieser Wind hinterläßt in der Landschaft keine Spuren, er bringt keine Frische,
fächelt nur über die Oberfläche von Menschen- und Pflanzenkörpern und röstet
sie. Hier oben auf der Terrasse wirkt dieses Rösten, als hätten irgendwo in der
Tiefe Heizer einen Moment lang die Tür eines Schiffskessels geöffnet, und nun
wallte glühende Luft zum Deck hinauf. Sie läßt den Schmerz einer Verbrennung
ersten Grades auf der Haut zurück. All das ist außergewöhnlich, Ende Mai.

    Das Meer
ist blaßgrau und
dampft, als wäre es am Siedepunkt. Das Hotel mit seinen Terrassengärten erzeugt
die Illusion eines großen Segelschiffs mit vielen Decks – eines Schiffs, das
bei Windstille und mit gerefften Segeln unendlich langsam auf den Horizont
zutreibt. Das Argentina ist das beste Haus weit
und breit; der Oberkellner war erster Steward auf dem Vergnügungsschiff
jenes aus der Küstengegend stammenden vornehmen Herrn, der dieses Gebäude vor
nicht allzu langer Zeit in luxuriöser Ausstattung zu privaten Zwecken hatte
erbauen lassen. Das Vergnügungsschiff fährt auch heute noch auf dem Meer;
gleich einem verarmten herrschaftlichen Kutscher wickelt es den Personenverkehr
zwischen Zara und Cattaro ab. Die exklusiv eingerichtete prunkvolle
Sommerresidenz wurde zum Gästehaus umgestaltet, und der ruinierte vornehme
Herr soll sich unter dem Eindruck seines finanziellen Zusammenbruchs in eine
Heilanstalt zurückgezogen haben, irgendwo in Spalato.
    Die Gäste
werden von Reisebüros geschickt – unter wohlklingenden Versprechungen, die das Argentina nur zum Teil einlösen kann. Eine wichtige Rolle in diesen Ankündigungen
spielen die »Terrassengärten«, in Wirklichkeit Gemüsebeete, sowie der
»separate Meeresstrand«, der zwar in sich geschlossen und vornehm, doch bis zur
Unbenutzbarkeit steinig ist. Trotz aller Geschäftstüchtigkeit der Reisebüros
sprach sich die Wahrheit allmählich herum, und das ursprünglich luxuriöse Argentina sah sich zu Preissenkungen genötigt. Das Haus wird von wenig
zahlungskräftigem Publikum frequentiert, Touristen, die Monate im voraus auf
den Groschen genau wissen, welche Summe sie im Urlaub auszugeben bereit sind.
    So wandelte
sich das Argentina vom Liebesnest zu einem
anständigen »gutbürgerlichen« Haus, das sich wohl oder übel dem Lebensstandard
und der Freigebigkeit seiner Gäste anpassen muß. Zum Beispiel wird nach dem
Obst keine Schale mit Wasser mehr gereicht.
    Auf der
Terrasse des gutbeleumundeten Hauses vermischt sich die Gesellschaft
notgedrungen mit der Vertraulichkeit jener Klasse, deren Angehörige in
historischer Selbstbescheidung zur Kenntnis nehmen, daß man den Luxus
exklusiver Einsamkeit und individueller Abgeschiedenheit unter einem gewissen
Pensionspreis nicht erwarten kann. Die Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen,
die Speisefolge ist für alle verbindlich, der schwarze Kaffee wird meist
lauwarm serviert, und wer morgens um neun den Gongschlag überhört, bekommt
sein Frühstück nur noch, wenn der ehemalige Steward besonderes Entgegenkommen
zeigt.
    Aber es
wäre ein Irrtum zu glauben, das Argentina habe seinen früheren Rang und
luxuriösen Anspruch restlos aufgegeben. Auch heute noch besänftigt der
Oberkellner reklamierende Gäste auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher