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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Fremde
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sagte
er und grinste. »Das ewig Menschliche ... Als es bereits sehr weh tat,
begann ich darauf zu achten ... Wie eine Verbrennung dritten Grades, einen
solchen Schmerz lindert kein Öl und kein Medikament ... Und dieses Feuer wurde
ständig neu angefacht, auf der Straße, wenn jemand an dir vorbeiging, jeder
Blick, jeder Händedruck ... O ja, manchmal habe auch ich dem Schmerz großartig
eins reingewürgt, habe Türkisch gelernt oder Bücher geschrieben und Preise
gewonnen, geheiratet ... Von Zeit zu Zeit scheint alles ganz in Ordnung zu sein
... Dann auf einmal diese Flamme, dieses weiße Glühen, das mit dem Fleisch in Berührung
kommt – du möchtest aufbrüllen und aus dem Haus laufen ... Doch du sitzt
weiter ruhig an deinem Platz und lächelst, unterhältst dich oder umwirbst eine
Frau ... Dieser Schmerz wird ständig verwechselt, man spricht von Erotik ...
Was ist das? ... Ich bin ihr sehr selten begegnet ... Einmal saß ich in einem
Hotelfoyer, es war nach dem Mittagessen, eine junge Frau erhob sich aus dem
Fauteuil neben mir, sie ging zum Lift und winkte ihrem Mann, ihr zu folgen ...
Sie betraten zusammen den Lift, ich sah nur noch die Hand und den Arm der
Frau, während sich die Tür langsam
schloß und der Lift mit ihnen losfuhr ... Ich glaube, das ist die einzige
erotische Bewegung, an die ich mich erinnere ... Was ich im Seziersaal sah, war
nicht erotisch« ,
sagte er schlicht, in zerknirschtem Ton. »Und auch das nicht, was ich
später im Bett sah. Vielleicht heute nachmittag, als ich die Hände um ihren
Hals legte ... Weißt Du, sie verstand nicht, was ich wollte ... Die Arme, sie
hatte mich bloß eben gerufen, so wie die anderen, auch sie warf noch ein Bündel
Holz in das Feuer unter mir, damit es nicht verlöscht ... Wie die anderen,
warum nicht? ... Sie hatte es so gelernt ... Aber eines Tages verliert man doch
die Geduld und schlägt ihnen auf die Hand ... Leider hat sie ihre Hand
weggezogen, als ich danach griff ... So habe ich eben nach dem Hals gegriffen
... weißt Du, ich wollte ihr nur sagen, daß es sich nicht lohnt, wegen einer
Frau zugrunde zu gehen, lächerlich ... Aber sie benahm sich so ungeschickt ...
Ich wollte ihr sagen, daß etwas anderes mit Dir ausgemacht war.«
    Schweigend
stand er da, den Kopf gesenkt. »Sag mir doch« , fragte er nach einer
Weile, ganz leise, ermunternd und freundlich: »Warum hast Du mich
betrogen?« Er blickte um sich und wartete neugierig auf die Antwort. Und
als diese auf sich warten ließ: »Siehst Du, siehst Du« , sagte er in tadelndem,
mißbilligendem Ton, »nicht wahr, Du weißt keine Antwort ... Und da sitzen
wir nun im Schlamassel.«
    Er trat
zwischen die zwei Bäume, lehnte sich mit dem Rücken an die Kiefer und sah auf
das Meer hinaus. Als
es zu tagen begann, breitete er die Arme aus, hielt sich an den Ästen des
Baumes fest und sagte mühsam, als müßten ihm die Worte erst einzeln einfallen,
mechanisch und langsam: »Mein Gott, mein Gott.« Der Morgenwind fegte
über das Meer, und als triebe er das kalte Licht wie einen Sprühregen vor sich
her, griff die Helligkeit mehr und mehr um sich. Er konnte bereits die Küste
sehen und bemerkte das Motorboot, das sich der Insel näherte. »Warum hast Du
mich verlassen?« fragte er mit leiser Stimme. Er drückte das Gesicht gegen
den Baumstamm und schloß die Augen. Er fühlte sich sehr müde.
    Bewaffnete
Männer näherten sich, doch als sie sahen, daß er sich nicht rührte, blieben sie
einige Schritte entfernt stehen – sie waren zu viert, zwei Gendarmen mit
Bajonetten und zwei Kommissare, die Revolver bei sich hatten – und betrachteten
ihn verlegen. Schließlich nahm einer der Kommissare seinen Regenmantel ab und
legte ihn über den nackten, zitternden Körper. Sie nahmen ihn in die Mitte und
begleiteten ihn wortlos zum Motorboot; in ihrer Verlegenheit vergaßen sie, ihm
Handschellen anzulegen.
    Der
Porzellanfabrikant, er stand in der ersten Reihe der Menge, die an der Mole
wartete, bemerkte diese Nachlässigkeit im Dienst und machte den
Gendarmerieoffizier darauf aufmerksam, in guter Absicht, doch in ziemlich
belehrendem und scharfem Ton. Der Gendarm zuckte die Achseln und winkte,
Askenasi die Hände zu binden. Bevor der
Festgenommene in den Wagen stieg, drehte er sich um, reckte sich in die Höhe
und sah, über die Menge hinweg, forschend, aufmerksam und erwartungsvoll zur
Insel. Im starken Licht zeichnete sie sich mit klaren und scharfen Linien ab;
er betrachtete sie neugierig und
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