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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Fremde
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Bedauern.
    Aus der
äußeren Jackentasche nahm er einen zur Hälfte verbrauchten
Autobusfahrkartenblock von Paris, die mit Bleistift geschriebene Rechnung eines
ortsansässigen Schneiders über hundertzwanzig Dinar mit dem Vermerk »Betrag für
das Bügeln und die Reinigung von vier Kleidungsstücken dankend erhalten« – die
bunte Seite des Rechnungszettels zeigte einen federbuschgeschmückten
stattlichen Offizier, der in die Schlacht galoppiert, eine runde Flasche
Magenbitter schwingend –, zwei Stück komprimierte Tierkohle, die er am
Nachmittag einzunehmen vergessen hatte, weil man ihn zum Telephon rief; er sah
nicht mehr viel Sinn darin, sie jetzt noch zu schlucken. Er fand ein einzelnes
italienisches Streichholz und den seltsamen, vom Flaum der Fütterung stammenden
Schmutz, der sich in Manteltaschen anzusammeln pflegt. In der kleinen
Geheimtasche, die sich in Hüfthöhe in der Fütterung
befand, stieß er auf sein Feuerzeug und ein braunes Fünfgroschenstück, mit dem
er den eingekerbten Metallverschluß des Feuerzeugs festschraubte, wenn er es
neu mit Benzin gefüllt hatte.
    Mit der
Jacke war er fertig; er zog sie aus, betastete sie gründlich, zu seiner
Überraschung entdeckte er an
der Innenseite des Aufschlags noch eine Stecknadel, die wohl der Schneider dort
vergessen hatte. Er
hängte die Jacke an den tiefen Ast eines Baums, strich die Falten an der
Schulter sorgfältig glatt und zog die Ärmel gerade.
    Mit der
Weste hielt er sich nicht lange auf. In einer ihrer Taschen fand er ein
flaches Lederetui mit einer Doppelreihe Schwefelhölzer, ein Notizbuch, von
einem schmalen Gummiband zusammengehalten, voll mit Adressen und
Telephonnummern halbvergessener Menschen, eine geistreiche Nickelkonstruktion,
Pfeifenreiniger, Nagelfeile und Korkenzieher in einem, in einem Goldetui einen
Zahnstocher, geschnitzt aus dem Kiel einer Gänsefeder, ein schmales
Taschenmesser im Lederetui, mit zwei Klingen und einer Nagelschere, ein monokelgroßes
Vergrößerungsglas mit Schildpattrahmen, eine zusammengefaltete Eintrittskarte
für das Britische
Museum in London und eine goldene Uhrkette, an der schon lange keine Uhr mehr
hing und die zwecklos aus der Westentasche baumelte. In einer achteckigen, aus
dünnen Goldplättchen zusammengefügten Miniaturdose am Ende der Kette verwahrte
er zwei Photographien, das Porträt seines Vaters aus jüngeren Jahren – er
mochte zum Zeitpunkt
der Aufnahme dreißig Jahre alt gewesen sein, und Askenasi konnte in dem
kaiserbärtigen Gesicht keine bekannten Züge entdecken – und das Photo seiner
kleinen Tochter, das ausdruckslose Bild eines dicken Säuglings, der desinteressiert
und verdattert in die Welt hinausstarrt. Er sah sich die Photographien genau
an, konnte jedoch nichts damit anfangen und legte sie zusammen mit der Kette
neben den Pfeifenreiniger und das Vergrößerungsglas. Es fand sich auch eine
schon ziemlich schmierige Zigarettenspitze aus Bernstein und der völlig
abgeschnitzte Stummel eines Bleistifts, der sich wohl schon seit Jahren in der
Tasche verbarg, denn Askenasi konnte sich nicht erinnern, wann er ihn zuletzt
verwendet hatte.
    Aus seiner
Hosentasche kam ein ledernes Zigarettenetui zum Vorschein, dazu ein
Revolverfutteral, das anstelle einer Waffe eine flache Kleiderbürste enthielt,
außerdem fand er noch einige französische und belgische Francs und eine
elektrische Taschenlampe ohne Batterie.
    Er ordnete
die Gegenstände, trat einen Schritt zurück und betrachtete die Sammlung
aufmerksam. Seit Jahren lebte er mit diesen Dingen, mal kam etwas abhanden, mal
erweiterte sich der Bestand, doch im großen und ganzen war es dieses Arsenal,
das er schon Jahre bei sich trug, er hing krampfhaft an diesen Sachen, wie ein
Handwerker an seinem Werkzeug, und tat keinen Schritt ohne sie. Er dachte
nach, was noch fehlte, nahm die Knöpfe von den Manschetten und die Armbanduhr
vom Handgelenk,
zog die zwei Ringe vom Finger, den Siegel- und den Ehering, den er noch immer
trug, und legte alles dazu. Nun schien die Sammlung komplett.
    Mit so viel
Gerätschaft, dachte er, unternahm man einstmals Expeditionen. Selbst Kolumbus
hatte nicht so viele Instrumente bei sich, als er sich einschiffte, die Welt zu
umrunden ... Er tastete zwischen den Gegenständen herum und betrachtete mit
ungläubigem Staunen all diesen Abfall, der sich im Laufe der Jahrzehnte
unabhängig von seinem Wunsch und Willen angesammelt, den er allabendlich
sorgfältig auf dem Nachttisch angeordnet und jeden Morgen ebenso
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