Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Fremde
Vom Netzwerk:
geht das
nicht. Es fehlen Worte, sie sind grob und unzulänglich, kommen nicht annähernd
an das Original heran ... Auf Schritt und Tritt, im Wachen und im Traum, hat
mich dieser Text verfolgt ... Wie eine Melodie, die dir im Ohr summt, du kannst
an nichts anderes denken ... Ich habe mich wirklich dagegen gewehrt, habe sie
verscheucht, die Bücher hervorgeholt ... Stell Dir vor, ich habe sogar Sport
getrieben und bin der radikalsozialistischen Partei beigetreten ... Ich weiß,
lächerlich, aber das habe ich damals doch noch nicht gewußt ... Und außerdem
habe ich mich lange davor gefürchtet, weil ich geglaubt habe, daß es Sünde ist
... Das war das seltsamste.« Er lächelte zufrieden, höhnisch. »Diesen
körperlichen Teil der Sache habe ich lange nicht verstanden ... Auch ich habe
geglaubt, es ist nur eine Begleiterscheinung, man muß es hinter sich bringen,
es gehört dazu, aber im Grund geht es nicht darum, sondern um das Gute, die
Hingabe, die Liebe ... Eben nicht.« Er schrie auf; das Gesicht dem Himmel
zugewandt, brüllte er aus vollem Hals: »Eben nicht! Es ist nicht wahr! Du
hast mich betrogen!« Er bedeckte die
Augen mit den Händen und krümmte sich zusammen.
    Das Meer
warf seine Worte brausend zurück. Demütig, den Körper vorgeneigt stand er am
Felsen. »Verzeih mir!« sagte er leise. »Es tut sehr weh. Natürlich
läßt man sich dann manchmal hinreißen, wie auch ich vorhin, im Hotel ... Man
ist fleißig und gläubig und sucht ein Prinzip, das Grundprinzip ... Und statt
dessen findet man Bestandteile aus Fleisch, die meist für Geld zu haben sind,
wer mehr zahlt, bekommt bessere Qualität ... Du kannst es niemandem verdenken,
wenn ihn die Enttäuschung niederdrückt ... Und dann die vielen nebensächlichen
Beschäftigungen, das Herumgemurkse, die offizielle Arbeit, die Besprechungen,
die einen abhalten ... Ich sage ja nicht, daß ich nie zur Ruhe gekommen wäre
... Doch immer nur für sehr kurze Zeit ... Einmal ging ich im Nebel nach
Hause, an den Straßenecken wurden die Gaslaternen angezündet, sie flackerten
mit riesigen Flammen im Nebel ... Damals war ich glücklich und mir fehlte
nichts, aber das dauerte nur eine halbe Stunde ... Und einmal im Sommer, am
Morgen im Garten ... Einmal im Theater, die Musik berührte mich tief, besonders
die eine Violine ... Ich schloß für einen Moment die Augen ... Einmal bei einem
Flug über die Alpen, als der eine Propeller ausfiel und die Maschine langsam,
flügellahm zu sinken begann ... Aber das alles war nichts im Vergleich dazu,
was Du versprochen hast, alles war nur eine Kostprobe ... Dieser eine Teil der
Sache hat mich lange
gestört und verwundert ... Ich habe es ja gesagt, das kann nicht sein ... Es
wäre lächerlich, eine unreine und primitive Verwirklichung einer großartigen
Idee, Deiner Idee ... Auch davon hat niemals jemand gesprochen ... Was ich
darüber gehört habe, war dummes Zeug und Schnickschnack ... Man hat Graphiken
über die Lust gezeichnet und die Drüsen analysiert ... Darüber kann man ja nur
lachen.«
    Und
flüsternd, als würde er zu anderen sprechen, die im Dunkeln lauschen: »Unmöglich,
dachte ich, daß ihm sein Vorhaben nicht besser gelungen ist ... Das ist
verkorkste Arbeit, ein Pfuscher hat ihm seine Idee gestohlen und sie an seiner
Statt ausgeführt ... Das gibt Mißverständnisse ... Sei mir nicht böse, mehr
Vertrauen hatte ich nicht zu Dir«, fuhr er etwas lauter fort. »Erinnerst
Du Dich, ich war noch jung und besuchte die Universitätskliniken ... Damals
hatte ich mich schon entschieden, ich hörte Platon und verachtete die
Wichtigtuerei der Quacksalber ... Hochmütig ging ich in die Seziersäle und
betrachtete abschätzig die widerwärtige Masse, mit der manche so selbstgefällig
und ernsthaft herumtaten, als könnte sie ihr Geheimnis noch verraten ... Sie
erforschen den Körper, lächerlich ... Ich betrachtete die Muskeln, die Nieren,
das Organ selbst und zuckte mit den Schultern ... Tatsächlich, recht tüchtige
Werkzeuge, dachte ich ... und ›wie praktisch‹, wie schon das kleine Kind zur
Erzieherin bemerkte ... Und ich glaubte immer noch, daß er keine besondere
Aufmerksamkeit verdient, so wie der
Denker sich nicht mit Tinte und Feder befaßt, mit denen er schreibt ...«
    Stockend
sprach er weiter: »Ja, ja, die kleine Flamme ... Eines Tages begann es weh
zu tun, weißt Du, das Fleisch, wie eine Krankheit ... Du kennst das vielleicht
nicht ... Ja, das ist allein unsere Sache, das ist das Menschliche in uns«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher