Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Fremde
Vom Netzwerk:
flatterte
neben der englischen und jugoslawischen Flagge noch eine dritte, die Askenasi
nicht kannte.
    All das war
so nahe und das Licht vergrößerte die Linien zu solcher Schärfe, daß Askenasi,
obwohl kein geübter Schwimmer, Lust verspürte, das Schiff zu umrunden. Dazu
hatte er sich schon am Strand versucht gefühlt, als er im Liegestuhl durch das
Fernrohr spähte. Einst, in irgendeinem griechischen Hafen – davor ,
dachte er jetzt –, hatte er von der Reling aus beobachtet, wie sich zwei
Passagiere, eine gar nicht mehr junge Italienerin und ihr Begleiter, in der
Dämmerung ins Wasser warfen und weit auf das offene Meer hinausschwammen, mit so sicheren
und behaglichen Bewegungen, wie sie Askenasi nicht einmal während eines
Spaziergangs zustande gebracht hätte. Beim Schwimmen war er vorsichtig, kam
rasch außer Atem, und in tiefem Wasser befiel ihn Unsicherheit. Alles geht eben
nicht, dachte er verzagt. Eislaufen kann ich freilich auch nicht.
    Am
Vormittag, als er in das ölig dickflüssige Wasser eintauchte, hielt er es,
vielleicht unter dem trügerischen Eindruck der Lichtbrechung, nicht für
unmöglich, das englische Schiff schwimmend zu umrunden; doch kaum hatte er ein
paar Meter zurückgelegt, bemerkte er zu seiner Betroffenheit, daß das Schiff,
von der glatten Wasseroberfläche aus betrachtet, unerreichbar weit entfernt
war. Ich bin nicht in meinem Element, dachte er, deswegen wirkt alles anders.
Aus dem Wasser gesehen ist alles anders. Ich muß zurück ans Ufer.
    Diese
Erkenntnis erfüllte ihn mit Grauen. Und während er, die Stirn gegen den
Fensterladen gedrückt, das Schiff betrachtete, das jetzt wieder magisch nahe
schien, sah er nicht den kleinsten Hoffnungsschimmer, je wieder »ans Ufer
zurückzukönnen«. Er bemühte sich, die Kajütenfenster des obersten Decks zu
zählen, danach die Lüfterköpfe. All das in voller Absicht, wie jemand, der Zeit
schindet, bevor man ihn auf den Richtplatz oder in den Operationssaal bringt,
um ihn einer komplizierten und unvermeidlichen Behandlung zu unterziehen, die
in Wirklichkeit viel qualvoller sein wird als die definitive Prozedur.
    Langsam
ging er zum Bett und begann sich auszukleiden.
    Doch bei
jeder Bewegung sog er die Luft durch die Zähne. Als er das Jackett und gleich
auch das Hemd ablegte, schnitt er schmerzliche Grimassen; mit vorsichtigen und
umständlichen Bewegungen entkleidete er sich weiter, als ob er einen am Ellbogen
gebrochenen Arm entblößen müßte – auch die vorsichtigste Bewegung verursachte
Schmerzen, lächerliche und brennende Schmerzen, die sich fast bis ins
Unerträgliche steigerten, wenn zum Beispiel das rohseidene Hemd an seinem
Rücken scheuerte. Er zischte leise.
    Mit nacktem
Oberkörper trat er in der Mitte des dämmrigen Zimmers vor den Spiegel, der in
den Kleiderschrank eingebaut war, und schüttelte mit fast erfreutem Staunen den
Kopf. Brust, Rücken und, wie er mit einer Drehung zur Seite feststellen konnte,
besonders die Schultern glänzten rosa, wie rohes Fleisch, von dem man die Haut
abgeschält hat. Verbrennungen ersten Grades, dachte er befriedigt. Mit der
Fingerspitze berührte er vorsichtig einen Punkt seiner Schulter und riß die
Hand sofort zurück, als hätte er einen stromführenden Draht berührt: die Haut
auf Rücken, Brustkorb und Armen war entzündlich gespannt, fast hart.
    Er beugte
sich nahe an den Spiegel und bemerkte zufrieden, daß das Rot schneeweiße
Streifen aufwies, denn als er am Vormittag den Badeanzug bis zur Hüfte
abgestreift hatte und sich an einem Felsen sonnte, wurde die Haut in den Falten
zwischen den Fleischwülsten
von Brust und Bauchgegend nicht versengt. Wenn er sich nun aufrichtete, mutete
er wie ein exotisches Zebra mit roten und weißen Streifen an – ein abnormes
Zebra, dachte er; und gleich darauf: Das Fach und seine Denkweisen begleiteten
mich bis vor den Spiegel.
    Doch was
ihn in diesem Moment vorrangig beschäftigte, fast andächtig stimmte, war die
Voraussicht des Körpers – der Körper hatte schon am Vormittag etwas geahnt und
sich auf den zu erwartenden großen Schmerz vorbereitet, sozusagen ein
Gegengift beschafft in Form eines zweitrangigen körperlichen Schmerzes.
Körperliche Schmerzen sind in solchen Fällen sehr gut, dachte er
hoffnungsvoll, Krankheit, finanzielle Sorgen, Heimsuchungen sind dann ganz
ausgezeichnet.
    Mit nacktem
Oberkörper, die Hände im Schoß, saß er am Bettrand vor dem Spiegel und starrte
auf das wenig gefällige Bild, das Spiegelbild eines
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher