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Sand & Blut

Sand & Blut

Titel: Sand & Blut
Autoren: Xander Morus , Isabell Schmitt-Egner
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wären wir beide nicht mehr herausgekommen. Ich hielt die Lampe also etwas tiefer und der runde Kegel erfasste ihren Kopf. Erschrocken biss ich mir auf die linke Hand.
    Ihr Gesicht und ihre Haare ruhten inmitten von einem Schwarm junger Ratten. Ihre Augen waren geschlossen. Ihre Haare waren zu einem Knäuel angeschwollen und es wirkte, als hätten sich Ratten darin verfangen. Sie hingen mit ihren Schwänzen fest und kratzten über ihr Gesicht. Ihre Haut glühte rot und eitriger Ausschlag bildete sich.
    Ich konnte den Blick nicht abwenden und war fast fasziniert von diesem bizarren Schauspiel.
    Plötzlich vernahm ich ein Knurren. Ich hörte genauer hin und dann schrie sie plötzlich.
    »Hilfe!«
    Tanja lebte. Auf dem Rattenkönig. Ich leuchtete ihr direkt ins Gesicht und hielt die Lampe ruhig. Ihr verklebtes Haar hatte sich mit den herumirrenden Ratten so verknotet, dass man nicht mehr sagen konnte, was Mensch und Tier war. Ihr Gesicht war aufgequollen und ihre Augen starrten schreckgeweitet in den Kegel der Lampe.
    »Bitte! Helfen Sie mir!«, schrie sie erneut und ruderte mit den Armen. Das schreckte die Ratten nur noch mehr auf und sie beschwerten sich lautstark. Ihr Fiepen mischte sich in Tanjas Schreie und ich wollte mir instinktiv die Ohren zuhalten.
    Tanja versuchte sich aufzurichten, doch etwas hinderte sie daran. Das Ungetüm unter ihr klebte förmlich an ihrem Körper. Und die Ratten fühlten sich gestört.
    Sie war in ihr Reich eingedrungen und machte jetzt alles kaputt. Erst jetzt erkannte ich, dass sie mit den Ratten geradezu verknotet war. Die Ratten hatten sie adoptiert. Tanja war Teil des Rattenkönigs geworden. Sie konnte da gar nicht so einfach raus. Man musste sie vermutlich irgendwie losschneiden.
    Ach du heilige Scheiße, dachte ich. Was, wenn die Ratten sie gar nicht gehen lassen wollten? Wenn Tanja durch ihre Anwesenheit dafür sorgte, dass der Rattenkönig weiterlebte? Zitternd ließ ich den Lichtstrahl über ihren Körper gleiten. Ich erkannte, was ich geahnt hatte. Kleine Bisse blühten überall auf ihrer Haut. Wuselnde Ratten hingen an ihren Armen und Beinen und nagten an ihr, wie an einem Stück Käse. Wie mit einem Saugpfropfen gezogen kam mir plötzlich das Bier hoch und ich musste mich mit einem Schwall übergeben. Die bittere Magensäure wühlte sich durch meinen Mund und ich spuckte alles in die Grube. Wie ein grotesker Wasserfall rieselte es hinab.
    Die Ratten wurden klatschend eingedeckt und reagierten nur noch aggressiver. Sie stellten sich auf ihre Hinterbeine und reckten ihre spitzen Nasen in den Himmel. Sie rochen mich. Und plötzlich ging mir noch etwas auf. Sie waren ungeheuer aktiv und lebhaft. Tanja hatte noch genügend Ritalin im Blut und jetzt übertrug sie alles auf die Ratten. Die Viecher waren high. Rauschartig fielen sie über Tanja her und vergruben sich in ihrem Körper.
    Möge Gott mir verzeihen, dass ich in diesem Moment an Literatur dachte. Das makabere Gedicht von Benn über das tote schwangere Mädchen, in deren Körper sich Ratten eingenistet hatten. Schöne Jugend.
    Das Leben imitiert wirklich die Kunst, dachte ich.
    »Hilfe!«, japste Tanja und hob die rechte Hand wie zu einer Meldung.
    Jetzt merkte ich, dass sie mich gar nicht sehen konnte. Das Licht blendete sie viel zu sehr. Sie wusste nicht, dass ich es war, der sie beobachtete. Ihre Finger zeigten zu mir und schienen nach mir fassen zu wollen.
    »Bitte!«, flehte sie. Ich sagte nichts. Ich war viel zu geschockt. Dann riss ich den Kegel der Lampe aus der Grube und leuchtete in das umstehende Gebüsch. Ich brauchte einen großen Ast. Besser einen Baumstamm. Ja, verdammt. Ich wollte sie da raus holen. Nie im Leben hätte ich mir das verzeihen können, wenn ich jetzt wieder abgehauen wäre. Aber hier gab es nichts. Ich rappelte mich auf und schaute mich suchend um. Irgendetwas musste hier sein. Dann zog ich mich von dem Loch zurück und dachte an den Strand. Gab es da etwas? Ich musste es versuchen. Ich rannte in die Dunkelheit. In der Ferne hörte ich ihre Stimme.
    »Bitte! Gehen Sie nicht!«
    Doch ich antwortete nicht. Sie würde schon merken, dass ich zurückkommen würde. Ich hastete zum Strand und leuchtete hektisch über den grauen Boden. Aber an diesem gottverdammten Strand gab es nichts. Nur weißer Sand. Dann erinnerte ich mich an die spielenden Studenten. Das Volleyballfeld! Ich hastete über das Feld und als sich meine Füße in etwas verfingen, jubelte ich innerlich auf. Das große Netz lag noch
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