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Sand & Blut

Sand & Blut

Titel: Sand & Blut
Autoren: Xander Morus , Isabell Schmitt-Egner
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Grimmelshausen werfen, hieß es, und man sei stolz, so eine innovative Doktorarbeit an der Uni betreut zu haben. Da man wegen Hippels Sammlung aber kein allzu großes Aufheben machen wollte, beließ man es bei diesen Statements. Ich bekam meinen Doktor in einer äußerst bescheidenen, fast privaten Zeremonie verliehen.
    Das war mir nur recht. Viel schöner waren natürlich der Gehaltssprung und die feste Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Und ich bekam meinen eigenen Parkplatz. Ich wollte nicht, dass sie Doktor auf das Schild schrieben. Aber sie taten es trotzdem.
    »Ist so Standard! Seien Sie nicht so bescheiden. Sie haben es sich verdient!«, sagte man mir und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ich war jetzt wirklich ein Teil des Unibetriebs. Festgeschraubtes Mobiliar. Bitte nicht daran ruckeln!
    Ich lebte mich schnell ein. Die Seminarzeiten wurden besser und ich lernte eine hübsche Studentin kennen, die sich für Grimmelshausen interessierte. Sie war zehn Jahre jünger als ich. Ein anderer Typ als Tanja. Lehramtsstudentin. Aber, oh Wunder, interessiert an Literatur. Zumindest so weit, dass sie Schülern nicht nur Literaturverfilmungen zeigen wollte.
    Es lief alles gut. Nur eins musste ich noch erledigen. Hippels Blätter. An einem dieser langweiligen Sonntagnachmittage, derer es so viele gibt in diesen Kleinstädten, schlich ich in eine abgelegene Ruine und warf die Papiere in einen Blecheimer. Ich schüttete Brandbeschleuniger drüber und fackelte das ganze Zeug ab. Ich starrte lange in das Feuer und je kleiner die Flammen wurden, umso kleiner wurde auch meine Schuld. Übrig blieb nur ein kleiner Haufen Asche, den ich Hippel zu Ehren auf seinem Grab verstreute. Danach fühlte ich mich besser. Die Uni-Routine begann, und ich fand mich schneller in den üblichen Seminaren wieder, als ich erwartet hatte. Aber mit einem Doktortitel war das alles etwas leichter zu ertragen. Sehr viel leichter sogar. Ich begann eine neue, zarte Beziehung mit der Lehramtsstudentin und plante, einen Forschungsurlaub zu beantragen, um mir Hippels Sammlung wirklich mal genauer anzusehen.
    Manchmal dachte ich auch an Tanja und diese eine Nacht. Aber ich hatte einen Trick. Immer wenn mir wegen meiner Tat schlecht wurde, und ich kurz davor war, auf das Klo zu rennen, um mich zu übergeben, stellte ich mir vor, was gewesen wäre, wenn sie noch bei mir wäre. Ich hätte die Arbeit wegschmeißen können. Vielleicht hätte sie mich aus Rache trotzdem verraten. Und dann hätte sie mich vermutlich verlassen. Wie ich es drehte und wendete, immer wenn ich bereute, was ich getan hatte, musste ich mir klar machen, dass mein Leben sonst auch zerstört gewesen wäre. Ein klassischer tragischer Konflikt. Wie man sich entscheidet, man entscheidet sich falsch. Man muss lernen, mit der Schuld zu leben. Und hoffen, dass sie verblasst. Und ich muss zugeben, dass es mir ganz gut gelang. Bis heute.
     

Sie haben also den Rattenkönig … Kinder haben ihn beim Spielen am Ufer gefunden. Die Ratten sollen wohl alle tot gewesen sein. Außerdem haben sie gesagt, dass sie Teile weiblicher Kleidung und ein zerfetztes Volleyballnetz gefunden haben. Aber keine Leiche.
    Was mich noch mehr beunruhigt, ist, dass es hieß, sie hätten das bizarre Gebilde am Strand gefunden. Von einer Grube ist keine Rede. Sehr bald erfahre ich, was passiert ist ...
    Noch am gleichen Abend, also heute vor ein paar Stunden, klingeln ein paar Männer bei mir. Polizei. Sie bitten mich, mitzukommen. Wir fahren ins Leichenschauhaus und sie zeigen mir eine sehr dünne und sehr tote Tanja. Ich soll bestätigen, dass sie es ist. Kann ich. Ich will nicht in allen Einzelheiten beschreiben, wie sie aussah. Sie sah aus, wie jemand der einige Wochen in einer matschigen Grube mit Ratten gelegen hat.
    Und dann sagen sie es mir.
    »Sie hat bis vor wenigen Stunden noch gelebt«, murmelt der kahlköpfige Gerichtsmediziner.
    Ich glaube, mich zu verhören. Er sagt es noch mal und zieht dann ein weißes Tuch über ihren vermutlich noch warmen Körper.
    Er sagt: »In der Nähe haben wir eine Grube mit einigen toten Tieren gefunden. Die Ratten haben sie dort wahrscheinlich versorgt.« Dann macht er eine stockende Pause. »Ist so üblich bei einem Rattenkönig …«
    Jetzt merke ich, wie er mich prüfend ansieht, und dass mich die anderen Polizisten auch nicht aus den Augen lassen.
    »Mit was denn?«, frage ich tonlos.
    »Alles, was sie finden konnten. Müll, Essensreste, kleine Tiere«, sagt der
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