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Sand & Blut

Sand & Blut

Titel: Sand & Blut
Autoren: Xander Morus , Isabell Schmitt-Egner
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her und blickten ab und zu mit ihren funkelnden Augen zu uns herauf.
    »Holy Shit!«, sagte Tanja, strich sich das Haar aus dem Gesicht und beugte sich herab. Sie kniete direkt am Rand und hatte die Hände auf den lehmigen Boden gestützt. Kleine Lehmbrocken lösten sich und purzelten herab. Klatschend schlugen sie auf und das Geräusch von spritzendem Wasser drang zu uns hinauf.
    Ich ballte die rechte Hand zu einer Faust. Irgendwie fühlte ich mich unwohl. Es war kühl und ich fröstelte, aber Tanja schien die Temperatur gar nicht zu bemerken.
    »Oh Mann«, sagte sie und beugte sich noch etwas über den Grubenrand.
    »Weißt du, was das ist?«, fragte sie, ohne den Blick abzuwenden. Ich schüttelte den Kopf, da sie mich aber nicht ansah, presste ich »Keine Ahnung!« hervor. Sie schien die Ratten verflucht interessant zu finden und ich fragte mich plötzlich, was ich so interessant an ihr gefunden hatte. Diese Faszination hatte beinahe etwas Ekliges. Ich fragte mich, ob sie vielleicht in ihrer Kindheit eines dieser Mädchen gewesen war, die immer etwas schlampig und schmutzig aussahen und manchmal sogar eine Ratte auf ihrer Schulter mit sich rum trugen. Ratten, die sich am liebsten in den Haaren dieser Mädchen verkrochen und dafür sogar liebkost wurden. Manchmal fiepten sie und verschwanden plötzlich in den Tüchern, die diese Mädchen immer um den Hals trugen, nur um dann irgendwo unter dem T-Shirt wieder hervorzukommen. Man weiß nie, mit wem man sich einlässt.
    Diese zurückhaltende, feine Doktorandin ist ein Rattenmädchen. Ist das dein Aufstieg, Tanja? Ich wusste eigentlich nicht viel über Tanja. Sie redete kaum über ihre Mutter. Ich hatte nur ihren Vater kennengelernt, bei dem sie aufgewachsen war. Ein mürrischer Tischler, der den ganzen Tag über die Politik schimpfte. Während ich das dachte, hockte sie sich plötzlich hin und ließ ihre Beine in das Loch baumeln. So hatte sie einen noch besseren Blick in die Grube.
    »Ich glaube, das ist ein Rattenkönig«, sagte sie leise und wandte den Blick nicht ab. Ich wusste nicht, was ein Rattenkönig ist, sagte aber nichts. Zuerst dachte ich, sie meinte eine besonders große Ratte. Vielleicht den Boss des Rudels. Aber sie erklärte es mir mit flüsternder Stimme, in der ihre ganze Faszination mitschwang:
    »Ein Rattenkönig sind mehrere miteinander verknotete Ratten. Sie können sich nicht mehr voneinander lösen. Man sagt, ihre Schwänze sind durch die Enge, in der sie leben, so verschlungen, dass sie sich nicht mehr befreien können. Sie brechen und wachsen an den kaputten Stellen wieder zusammen. Sie sind gefangen und da sie sich nicht koordinieren können, bildet sich ein großes Knäuel. Der Rattenkönig.«
    Die Vorstellung ekelte mich an. Aber Tanja schien das nicht so zu sehen.
    »Das müssen wir unbedingt melden. Solche Funde sind eine Sensation. Man hat bisher fast nur tote Rattenkönige gefunden. Ein lebender ist äußerst selten.«
    Ich blickte zum Himmel. Die Wolken hatten sich grau gefärbt und sahen schwer aus. Regen lag in der Luft.
    »Wie können sie überhaupt überleben?«, fragte ich mehr aus Höflichkeit als aus Neugierde.
    Tanja schaute zu mir und richtete sich dann auf. Sie trat auf mich zu und rieb sich den Lehm von den Händen. Ihre Augen verengten sich, als sie mich ansah.
    »Ratten sind sehr soziale Tiere, weißt du … die, die ganz außen sind, versorgen die Tiere im inneren Kreis mit Nahrung. Sie geben nicht auf. Bis diese tot sind. Sie riskieren dabei, ebenfalls Teil des Knäuels zu werden, aber sie bleiben bei ihrem Rudel. Die Anstrengung, mehrere hilflose Tiere zu versorgen, muss enorm sein. Aber sie beißen sich durch.«
    Ich rührte mich nicht.
    Tanja kniff die Lippen zu einem Strich zusammen. Kleine Falten hatten sich in ihre Mundwinkel gegraben. Die Doktorarbeit hat dich altern lassen , dachte ich. Hoffentlich war sie es dir wert.
    »Ratten können nämlich nicht tricksen!«, fügte sie hinzu und sah mir direkt in die Augen. Ich war ihr so nah, dass sich mein Gesicht in ihren Pupillen spiegelte. Ich spürte ihre Verachtung, sagte aber nichts. Sie blieb ebenfalls still. Dann drehte sie sich abrupt um und wandte mir ihren pickeligen Rücken zu. Sie stand direkt vor dem Loch.
    Was ich jetzt tat, kann ich mir nicht wirklich erklären. Es ist so leicht, die Schuld auf die Wut zu schieben, aber die Wahrheit ist, dass da noch etwas anderes war. Ich hasste sie in diesem Moment, weil sie gar nichts verstand. Ihr war mehr oder
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