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Sand & Blut

Sand & Blut

Titel: Sand & Blut
Autoren: Xander Morus , Isabell Schmitt-Egner
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weniger alles zugefallen. Studium, erster Freund, natürlich Dozent, dann abserviert … Den nächsten Dozenten geangelt, der natürlich zufällig ihre Doktorarbeit arrangierte. Dann mal so abgebrochen, weil die Chemie nicht mehr stimmte und schnell die Uni gewechselt. Neuer Doktor, kein Problem. Was möchten Sie noch? Brauchen Sie etwas Ritalin für Ihre Synapsen? Kein Thema. Wir sind doch eine Unistadt, da geht so was schon mal. Das Problem ist uns bekannt.
    Ich trat zu und ich erinnere mich, dass ihr Po so weich war wie ein Schaumgummiball. Sie bog den Rücken grotesk durch, als würde sie eine Aufwärmübung machen. Ein pfeifendes Ächzen war zu hören. Wie ferngesteuert torkelte sie auf das Loch zu. Sie war so überrascht, dass sie noch nicht einmal schrie. Der Schwung riss sie mit und plötzlich machte sie einen großen Schritt in die Luft direkt über dem Loch. Sie sah aus wie die Monty Python-Jungs, wenn sie diese grotesken Schritte machen. Ihr Fuß war einen Moment in der Luft festgefroren und dann stürzte sie kopfüber in das Tiefe.
    Sie war so schnell weg, als ob sie auf eine Falltür getreten wäre. Einen Plumps habe ich nicht gehört. Ich blieb auch erst mal stehen und tat nichts. Irgendwie erwartete ich, dass sie den Kopf herausstreckte und mich beschimpfte. Aber es passierte nichts. Die Ratten fiepten bloß. Laut und aufgeregt. Ich machte einige zaghafte Schritte und beugte mich dann über das Loch. Tanja lag zwischen den Ratten und rührte sich nicht. Dafür rührten sich die Ratten umso mehr. Die braunen Körper krochen wie aufgescheuchte Kellerasseln über sie rüber. Das Piepen der Ratten nahm zu. Tanja war direkt auf den Rattenkönig gefallen. Etwas Blut quoll aus ihrer Stirn und eine kleine Ratte schnupperte neugierig daran.
    »Tanja?«, fragte ich leise. Keine Antwort. Sie sah auch irgendwie grotesk verzerrt aus. Das rechte Bein war verdreht und abgewinkelt. Ihre Arme waren tief im Schlick versunken. Sie sah aus wie Ophelia aus Hamlet. Plus Ratten.
    Und dann sah ich die Ratten, die durch ihre Haare krochen, ihr Gesicht beschnupperten und sich immer wieder in ihren Schopf wanden. Es schienen immer mehr zu werden. Schwänze zuckten über ihren Körper und verknoteten sich ineinander. Ich musste wegsehen. Aber das Fiepen blieb.
    Ich stand abrupt auf und lief los. Ohne mich noch einmal umzudrehen, rannte ich zum Strand. Dort war es inzwischen viel ruhiger geworden. Die Dämmerung war hereingebrochen und es waren nur noch wenige Besucher da. Ich packte unsere Sachen und lief in die Stadt. Ich wollte sofort zur Polizei und alles erzählen, aber dann zögerte ich.
    Wenn sie tot war, wovon ich ausging, dann würde man Fragen stellen. Und das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte, war eine polizeiliche Untersuchung. Klar, man würde den Fußabdruck an ihrem Po erkennen. Und man würde fragen, ob wir uns gut verstanden hatten in letzter Zeit.
    Meinen Sie jetzt die Zeit, bevor sie das Ritalin genommen hat und meine geklaute Doktorarbeit entdeckte oder die danach?
    Ich entschied mich, erst mal darüber zu schlafen. Ich brauchte zwei Bier, bis ich mich in unser Bett traute. Natürlich machte ich in der Nacht kein Auge zu. Es war der pure Wahnsinn und ich fragte mich, was in mich gefahren war. Irgendwann saß ich senkrecht im Bett und schaute hinaus in die dunkle Nacht. Was sollte ich anderes tun? Ich zog meine Hose an und schlüpfte in die schmutzigen Schuhe.
    Ich erreichte die Sandgrube gegen halb drei. Regen lag in der Luft. Der See lag völlig ruhig in der Nacht und die Oberfläche glänzte wie frischer Teer. Ich stürzte mich in das Gebüsch. Die Zweige schlugen mir ins Gesicht, als ich durch die Dunkelheit hetzte. Den Weg fand ich trotzdem blindlings. Atemlos blieb ich vor dem Loch stehen. Ich fummelte eine kleine Taschenlampe hervor und leuchtete in das Loch. Zuerst erkannte ich nichts. Dann fiel der helle Kegel auf ihren Körper. Sie war noch da, natürlich. Und sie bewegte sich. Oder waren es die Ratten, die unter ihr herumwimmelten und dadurch ihren Körper wie ein Schiff auf den Wellen schaukeln ließen? Ich konnte es nicht sagen.
    »Tanja?«, flüsterte ich in die Nacht und kniete mich über den Abgrund. Fast wäre ich selbst hineingestürzt, aber ich klammerte mich an den Wurzeln fest, die aus der Erde ragten.
    »Bist du da?« Die Frage war so dumm wie überflüssig. Ich hoffte einfach nur, dass sie irgendwie reagieren würde. Was sollte ich sonst tun? Wenn ich in das Loch geklettert wäre,
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