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Samuraisommer

Samuraisommer

Titel: Samuraisommer
Autoren: Ake Edwardson
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darauf zu warten, dass ich etwas unternahm.
    Jetzt merkte ich, dass mir die rechte Gesichtshälfte wehtat, weil ich
die Wange so sehr gegen den Stein gepresst hatte. Vorsichtig bewegte ich den
Kopf hin und her, bis es nicht mehr so wehtat. Ich schloss die Augen, und als
ich sie wieder öffnete, sah ich, dass die Baracke dunkel war. Waren die
Betreuerinnen zurückgekommen? Oder hielt sich jemand anders in der Baracke
auf? Vielleicht hatten sie mich doch gesehen. Es war Zeit, dass ich mich auf
den Weg machte.
    Ich robbte durchs Gras. Mein Gesicht wurde nass, als wäre der Nebel
vom See hereingetrieben worden und füllte die Luft mit Wasser.
    An der Hausecke richtete ich mich vorsichtig auf und schlich an der
dem See zugewandten Mauer entlang. Von der Baracke aus war ich nicht zu sehen.
Die Vorhut im Wald konnte mich sehen, aber jetzt waren sie ja die Nachhut.
Janne und Micke warteten immer noch auf ein Zeichen von mir. Und Kerstin. Sie
fragten sich wahrscheinlich, was ich jetzt tat. Vielleicht war dies das
Dämlichste, was ich je getan hatte. Dabei hatte ich schon ziemlich viel
dämliche Sachen in meinem Leben gemacht.
    In einem Fenster war Licht, es war wie der Strahl einer Taschenlampe,
der auf den See gerichtet war. Der Strahl schien das andere Ufer halbwegs zu
erreichen. Dann verschwand er einfach in der Dunkelheit. Sekundenlang dachte
ich, dass ich gar nicht wissen wollte, was passiert war. Oder eben passierte.
Aber in der nächsten Sekunde wurde mir klar, dass ich keine andere Wahl hatte.
    Langsam näherte ich mich dem Licht, immer noch eng an die Wand
gedrückt. Sie roch nach Malerfarbe, obwohl sie in den Sommern, die ich hier
verbracht hatte, nicht gestrichen worden war. Vielleicht konnte ich die Farbe
riechen, weil sie von der Wand blätterte. Einige Plättchen blieben in meinen
Haaren hängen, wie kleine Federn. Ich schaute wieder zum See, so als erwartete
ich, das Kanu der Mohikaner im Lichtkegel vom Fenster herangleiten zu sehen.
    Vielleicht war es falsch, dass sie jetzt nicht auf dem See waren. Da
draußen hatte man einen guten Überblick. Das konnte man von meinem Standpunkt
nicht behaupten. Ich musste näher an das Fenster heran. Der Mondschein spiegelte
sich in der Scheibe, jetzt sah ich, dass das Fenster offen stand. Ich wusste,
welches Fenster es war. Als ich näher kam, hörte ich Stimmen, zuerst ein
Gemurmel, dann einzelne Wörter.
    Jetzt befand ich mich fast unter dem Fenster. Ich schaute hinauf, aber
niemand sah heraus. Es klang, als würden sich die Leute weiter hinten im Zimmer
unterhalten.
    „Die sind noch nicht weit gekommen. Das ist dir doch klar?“
    Es war die Stimme der Alten, aber ich erkannte sie kaum wieder. Sie
klang gepresst und dünn. „Woher weißt du das?“
    Christians Stimme war auch schwer zu erkennen. Sie klang undeutlicher,
belegt, als hätte er etwas im Hals.
    „Du weißt NICHTS“, schrie er, nachdem er sich geräuspert hatte. „Was
weißt DU schon?“
    „Ich wei...“ Die Alte brach mitten im Wort ab. „Was war das?“
    „Was?“
    „Ich hab was gehört. Von draußen.“
    Ich kauerte mich unter dem Fenster zusammen. Das Einzige, was ich
gehört hatte, war ein weit entferntes Grollen, als ob das Gewitter mitteilen
wollte, dass es noch da war und noch einmal zurückkehren könnte.
    Ich drückte mich tiefer in den Schatten.
    Im Zimmer ertönten Schritte und gleich darauf beugte sich ein Kopf aus
dem Fenster. Er wirkte wie eine schwarze Figur aus Pappe. Ich sah, wie sich der
Kopf bewegte.
    „Hier ist nichts“, sagte Christian.
    „Ich hab was gehört“, sagte die Alte.
    Wieder grollte das Gewitter, noch genauso weit entfernt wie vorher.
    „Es ist nur das Gewitter.“ Christians Kopf verschwand.
    Donner grollte ein drittes Mal. Diesmal klang es näher.
    Die Alte sagte etwas, das ich nicht verstand. Sie schien noch weiter
ins Zimmer gegangen zu sein, auf die Tür zu.
    „Jetzt ist es zu spät“, sagte Christian. Gemurmel.
    „Es ist ZU SPÄT, hab ich gesagt.“
    „Daran hättest du früher denken müssen.“ Die Stimme der Alten, auch
sie klang jetzt belegt.
    Darauf murmelte Christian etwas. Sie schienen im Zimmer herumzugehen.
Plötzlich fiel mir ein, wie Christian auf dem Karussell gesessen und zum
Schlafsaal der Mädchen hinaufgeschaut hatte.
    „Mehr kann ich nicht tun“, sagte die Alte.
    „Das hab ich schon gemerkt“, sagte Christian.
    „Ich hab es schließlich nicht getan“, sagte die
Alte.
    „Du hast selber genug getan“, antwortete Christian.
    Wieder
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