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Samuraisommer

Samuraisommer

Titel: Samuraisommer
Autoren: Ake Edwardson
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sollte.
Wer lachte, der tat nur so als ob. Hier kratzte das Lachen im Hals.
    Beim Frühstück Ruhe zu trainieren, war unmöglich, nicht wenn vierzig
Löffel in vierzig Tellern klirren. Immer klang noch das Echo mit, das heißt,
dass man achtzig Löffel lärmen hörte, bis die Grütze aufgegessen war, und je
eher sie aufgegessen war, umso besser, denn sie schmeckte nach Hühnerscheiße.
    Wenn wir wollten, wuschen wir uns schon vorm Frühstück im See. Darum
kümmerten sich die Betreuerinnen nicht. Die wurden um die Zeit wahrscheinlich
erst wach, weil sie nachts bis spät unterwegs waren.
    Ich wusch mich immer ausgiebig, denn ein Samurai nimmt es genau mit
der Sauberkeit. Aber im Camp gab es auch welche, die nahmen es nicht so genau
mit dem Waschen. Klops aus meinem Schlafsaal zum Beispiel. Aber nicht mal Klops
konnte sich drücken, wenn alle ein warmes Bad mit Seife in der Badewanne nehmen
mussten. Das fand einmal mitten im Sommer statt, abends, bevor am nächsten Tag
die Mütter und Väter zu Besuch kamen. Am Großen Besuchstag sollten alle gut
riechen. Die Eltern sollten nicht wissen, wie es sonst roch.
    Am Abend vorher bekamen wir auch neue Bettwäsche, die gut roch, beinah
so gut wie der Wald dort draußen. Die Laken waren ein bisschen steifer als
sonst, sodass es am ersten Morgen schwer war, sie festzustecken. Man musste
sich anstrengen, wenn man beim Wettkampf ums Bettenbauen gewinnen wollte.
    Einmal sagte ich zu einer Betreuerin, dass ich öfter als nur einmal im
Sommer ein richtiges Bad nehmen wollte. Sie hat mich bloß angeguckt und gar
nichts kapiert. Ich glaube, das war im letzten Sommer oder im vorletzten.
Manchmal gleiten alle Sommer ineinander, wie mehrere Bäche, die im Frühling
zusammenfließen, wenn das Wasser steigt.
    Von allen habe ich die meisten Sommer im Camp verbracht. Nur die Alte
ist länger hier als ich, aber das ist auch kein Kunststück, denn sie ist die
Heimleiterin und war schon hier, als ich noch in Mutters Bauch lag.
     
    Vor einigen Wochen war Mutter hier, am Großen Besuchstag. Wie üblich
war sie von der Bushaltestelle an der Landstraße zu Fuß gegangen. Sie war drei
Kilometer durch den Wald getrabt, und wie üblich roch sie nach Schweiß, als sie
ankam.
    Sie hatte mir eine Tüte Schokoladenbonbons mitgebracht. Aber die haben
die Betreuerinnen sich unter den Nagel gerissen, oder vielleicht auch die
Alte.
    Zuerst durfte ich die Tüte behalten, später musste ich sie dann
abgeben. So machten sie es immer. Die Süßigkeiten wurden an alle Kinder
verteilt. Wenn man Glück hatte. Als ich weder an jenem Abend noch am nächsten
ein Stück Schokolade bekam, war mir klar, dass sie die Tüte geklaut hatten.
    Mutter hatte sie ganz durch den Wald getragen. Als sie nach dem Marsch
wieder zu Atem gekommen war, setzte sie sich auf einen der Stühle vorm
Holzschuppen und wischte sich das Gesicht mit einem alten Taschentuch ab, das
so dünn war, dass man hindurchschauen konnte. Es war wie ein Fenster. Auf der
anderen Seite sah ich Mutters Gesicht. Ich wusste ja, dass sie es war, aber sie
hatte sich verändert. Als wäre sie diesmal nicht richtig dieselbe. Als würde
die Tüte mit den Schokoladenbonbons etwas bedeuten. So etwas Leckeres hatte
sie mir noch nie mitgebracht.
    Sie steckte das Taschentuch zurück in die Handtasche, die rund wie ein
Fußball war.
    „Deine Haare werden lang, Tommy“, sagte Mutter.
    Ich antwortete nicht. Sie strich ihre eigenen Haare zurück, die braun
und gelockt und über der Stirn irgendwie ungleichmäßig waren. Vielleicht hatte
sie sie sich selbst geschnitten. Solange ich mich erinnern konnte, hatte sie
immer gleich ausgesehen.
    „Dein Haar ist fast weiß geworden in der Sonne.“
    Sie schaute über den See. Der glitzerte so, dass einem beinah die
Augen brannten. In der Sonne war alles weiß, und es war, als hätte ich dieselbe
Farbe angenommen. Sie schaute mich wieder an.
    „Dieser Sommer ist wirklich ungewöhnlich heiß.“
    Ich sagte immer noch nichts.
    „Tommy?“
    „Du weißt, wie ich heiße“, sagte ich.
    „Tommy ...“, wiederholte sie, aber es war keine Frage mehr. Sie
schaute wieder über den See, als wäre Tommy irgendwo da draußen. Aber das
Einzige, was sie sah, war ein Boot weit entfernt, vielleicht ein Kanu. Es war
wie ein Streifen schwarze Pappe in all dem Weiß.
    „Wie ist es in der Stadt 1 ?“, fragte ich. Mir taten
allmählich die Augen weh, so angestrengt starrte ich auf den See, als hielte
ich selber Ausschau nach diesem Tommy.
    Ich
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