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Samuraisommer

Samuraisommer

Titel: Samuraisommer
Autoren: Ake Edwardson
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haben. Die wollen nicht
noch mehr Zeugen haben.“
    „Zeugen wovon?“, fragte Klops.
    Ich antwortete nicht.
    Niemand sagte ein Wort. Ich hörte den Wind in den Baumkronen. Er
hatte in der letzten halben Stunde zugenommen. Der Himmel war dunkler als
sonst, fast wie in einer Herbstnacht. Die Gesichter waren nur noch weiße
Flecken.
    „Was machen wir jetzt?“, fragte Klops schließlich.
    Ich sah Janne an und dann Lennart. Klops sah mich an. Hatten wir
denselben Gedanken? Könnte Weine von den Erwachsenen als Spion geschickt worden
sein? Ich musterte Micke. Würde er sich dafür hergeben? Wenn das so war, dann
war er innerhalb weniger Tage erwachsen geworden.
    Aber ich sah, wie er mit besorgten Augen in den Wald spähte. Er sah
nicht aus wie ein Verräter. Verräter haben andere Augen.
    „Wir müssen sie wohl befreien“, sagte der Bogenschütze von der Mauer
her. Er hob den Bogen. „Mit dem kommt man weit.“ Er zeigte auf mein Katana.
„Und ihr habt eure Schwerter.“
    „Wir könnten sie überraschen“, sagte Micke. „Die erwarten nicht, dass
wir zurückkommen.“
    Ich hatte das Gefühl, dass alle mich anschauten. Ich sah die weißen
Flecken, die ihre Gesichter waren, wie schwache Lampen leuchten. Bald wurde es
Nacht. Was würde dann passieren? Wir mussten handeln. Ich versuchte nachzudenken,
vernünftig darüber nachzudenken, was wir tun sollten. Und warum wir es tun
sollten.
    Mir war klar, dass wir in Gefahr waren, das war allen klar. Die Kinder
im Camp waren in Gefahr, ich wusste nur nicht richtig, wie.
    „Wir müssen was tun, Kenny.“ Das war Kerstins Stimme. „Wir können
nicht nur einfach abwarten.“
    Sie hatte Ann losgelassen und war näher gekommen. Sie glich einem
Gespenst, das langsam wieder zu einen Menschen wurde. Ihr Gesicht war nicht
mehr nur ein weißer Fleck.
    „Jetzt geht es mir besser“, sagte sie.
    Ich glaube, sie lächelte sogar ein wenig.
     
    Vielleicht hatte sie es aber auch nur so gesagt. Als wir im Windschutz
saßen, sah sie nicht gerade so aus, als ginge es ihr prima. Aber sie war nicht
mehr still. Und draußen war es auch nicht still. Ich hörte Schwert gegen
Schwert schlagen. Micke und Janne trainierten. Kendo. Der Weg des Schwertes.
    Einmal vor langer Zeit hatte es in ganz Japan viele hundert
Fechtschulen gegeben. Man focht immer im Ernst. Niemand sah es als Sport an.
    Die Mohikaner hatten auch jeder ein Schwert bekommen, aber ich wusste,
dass der Bogenschütze seins nicht benutzen würde, sollte es zum Kampf kommen.
    „Wie geht es dir?“, fragte ich.
    „Ich hab doch gesagt, mir geht es gut.“
    „Hast du ... Schmerzen?“
    „Nein. Nicht im Körper“, sagte sie und sah mich an. „Er, Christian ...
hat versucht... aber ich konnte fliehen.“
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    „Hast du auch ein Schwert für mich?“, fragte sie nach einer Weile.
    Wir hörten immer noch die Fechtgeräusche. Kerstin erhob sich und ich
stand auch auf. Wir sahen die Schatten der Fechtenden gegen Himmel und Wald.
Es war wie ein Theater mit Pappfiguren, Schattenfiguren.
    „Ich möchte ein Schwert haben.“
    „Dann musst du trainieren“, sagte ich.
    „Gib mir eins.“
     
    Wir trainierten auf der Lichtung. Sie war schnell. Klops und ich
hatten den Bokken, den sie benutzte, gleichzeitig mit seinem gemacht. Es war
ein Zwilling.
    „Dies ist Kenjutsu“, sagte ich, als ich neben Kerstin in die Luft
geschlagen hatte. „Das bedeutet die Kunst des Schwertes.“
    Ich zeigte ihr einige der sechzehn Schläge, die zur Schwertkunst der
Samurai gehören. Alle hatten einen eigenen Namen: Gewitter, Radattacke, Erbsenschneider.
Die Chinesen hatten noch mehr Namen dafür, wie man mit seinem Schwert
schlagen konnte, Namen, die wie Gedichte klangen: Die Tiger machen sich vor der
Haustür bereit. Der schwarze Drache schlägt mit dem Schwanz. Die weiße Schlange
sticht mit ihrer Zunge. Halt den Mond in deinen Händen. Wirble den Staub auf.
Male einen roten Fleck zwischen die Augenbrauen. Dreh dich um und häng die
Glocke auf. Pflücke die Sterne mit einer schwebenden Hand.
    Wir legten eine Pause ein. Ich begann zu schwitzen und sah, dass auch
Kerstin schwitzte. Ihr Haar war dunkler geworden vom Schweiß und einige
Strähnen klebten an ihren Ohren. Sie sah schon wie ein richtiger Krieger aus.
    „Haben wir wirklich eine Chance?“, fragte sie plötzlich.
    „Uns zu verteidigen? Ja.“
    „Aber anzugreifen? Wir wollen doch angreifen, oder?“
    „Ja ... wir müssen doch sehen, was im Camp passiert
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