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Samstags, wenn Krieg ist

Samstags, wenn Krieg ist

Titel: Samstags, wenn Krieg ist
Autoren: K Wolf
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Dunkelheit tanzen. Das hat sie als Kind schon getan, wenn sie Dinge ungeschehen machen wollte.
    „Er ist wirklich tot?“
    „Ja. Glatter Schuss ins Herz“, sagt Kramer, nicht ohne Respekt. Er weiß, dass sie keine Show macht. Es geht ihr wirklich schlecht.
    Er wäre stolz auf sich. Heimlich, aber immerhin.
    Er spricht tröstende Worte, weil er weiß, dass so etwas von Kollegen erwartet wird.
    „Du hattest keine Wahl. Er hätte ihn erschlagen.“
    Vera schluckt. Sie friert.
    „Ich hätte auf die Beine zielen können.“
    „Pah! Bei den Lichtverhältnissen.“
    Er hat ja Recht, und jeder wird die Notwendigkeit einsehen. Aber sie sagt es trotzdem leise, eigentlich nur für sich selbst.
    „Ich hätte es wenigstens versuchen können. Jetzt haben die Glatzen ihren ersten Märtyrer.“
    Kramers Gesicht ist plötzlich ganz nah an ihrem. Er hat eine Alkoholfahne. Er spricht gereizt: „Philosophier jetzt nicht rum. Ich fahre dich nach Hause. Oder willst du so in die Zeitung? Im Bademantel?“
    Vera hebt die Beine ins Wageninnere und schließt die Tür. Sie legt den Kopf in den Nacken und atmet aus.
    Zu ihrem Erstaunen sitzt Schütz neben ihr. Er lässt den Wagen an.
    Zum ersten Mal empfindet sie so etwas wie Wärme für ihn. Sie wäre jetzt nicht gern mit Kramer gefahren.
    „Bringen Sie mich nach Hause“, sagt sie. „Bitte. Rasch.“
    Schütz lenkt den Wagen rückwärts. Aus dem Fenster sieht Vera, wie Wolf Kleinhaupts Leichnam auf einer Bahre abtransportiert wird. Sie sieht sein Gesicht nicht. Nur seine Füße. Man hat ihm Schuhe und Strümpfe bereits ausgezogen.
    An seinem rechten Zeh baumelt etwas. Ein Kärtchen, auf dem sein Name steht.
    Eine Weile fahren sie wortlos, dann fragt Vera mit belegter Stimme: „Hat er noch etwas gesagt?“
    Schütz nickt. „Ja. Mama.“
    „Mama?“
    „Hm. Das ist bei fast allen gleich. Kurz bevor der Sensenmann sie holt, rufen sie nach ihrer Mutter. Das wird uns nicht anders gehen.“
    Vera starrt ihn an.

Erfahrungen mit Buch und Film
    Ich habe es immer geliebt, mit meinen Büchern auf ausgedehnte Lesereisen zu gehen. Der Kontakt zu meinen Lesern war mir von Anfang an wichtig. Zwölf bis fünfzehn Wochen pro Jahr war ich für den Bödeckerkreis, diverse Büchereizentralen und Buchhandlungen unterwegs. Ich las in allen deutschen Bundesländern, in Österreich, Luxemburg und immer wieder in der Schweiz.
    Mit Schulklassen zu diskutieren, die vorher ein Buch von mir gelesen und die Verfilmung gesehen hatten, war für mich ein Privileg und ich habe es genossen.
    Ich machte bis 1990 mehr als 4000 Veranstaltungen. Aber dann begann sich etwas zu verändern. Es war zunächst ein schleichender Prozess. Ich habe ihn bewusst erst ab 1990 wahrgenommen. In einigen Klassen herrschte auf einmal eine feindliche Atmosphäre. Da saßen Schüler stumm, manchmal grimmig grinsend, brütend, sie taten nichts, guckten nur voller Hass. 1992 war es für mich unübersehbar. Lehrer begannen zunehmend in ihren Klassen zu leiden, träumten vom Ausstieg. Es wehte in den Diskussionen plötzlich ein rauer Wind.
    Ich war es gewöhnt, dass Schüler und Lehrer sich auf mein Kommen freuten. Ich wurde als willkommener Gast behandelt. Nun weigerten sich an verschiedenen Orten Schüler, an meiner Veranstaltung teilzunehmen, weil sie „so einer linken Zecke“ nicht zuhören wollten. Mein Roman „Die Abschiebung“ (vom ZDF 1984 verfilmt) war plötzlich an einigen Schulen als Klassenlektüre nicht mehr durchsetzbar.
    Dann wurde ich an einer Schule mit „Heil Hitler!“ begrüßt und am gleichen Tag schenkten mir Schüler einen Maulkorb. An den solle ich mich schon mal gewöhnen, für ein neues `33.
    Zum ersten Mal in meinem Autorenleben war ich kurz davor, eine Lesereise abzubrechen. In einem Kaff in Mecklenburg-Vorpommern besoff ich mich und wollte ernsthaft aufgeben.
    Aber dann geschah etwas anderes. In der gleichen Kneipe saßen einige der Schüler, die mir am Morgen so zugesetzt hatten. Ich sah sie erst, als ich zur Toilette ging. Ich hatte genug Rotwein intus, um sie anzuquatschen. Ich zeigte auf ihre kahl rasierten Schädel und fragte: „Warum lauft ihr eigentlich her-um wie KZ-Häftlinge?“
    Nein, es gab keine Schlägerei. Vielleicht funktionierte noch ein Hauch von Schulautorität, jedenfalls fand ich mich an ihrem Tisch wieder und musste mir anhören, dass in den KZs gar keine Juden vergast worden seien.
    Später, viel später, als der Druck provozieren und schockieren zu müssen, nachließ, wurden
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