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Salzburger Totentanz

Salzburger Totentanz

Titel: Salzburger Totentanz
Autoren: Ines Eberl
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er die Terrassentür. Er zog ein schmales Stemmeisen aus der Tasche und setzte es an dem Holzrahmen an. Die Tür widerstand dem Druck nur kurz und sprang mit einem Knarren bereitwillig auf. Der Mann sah sich noch einmal um, dann schlüpfte er ins Haus.
    Ein Geruch nach Büchern und kaltem Pfeifenrauch hing in dem von der Straßenlaterne schwach erhellten Zimmer. Der Mann blieb stehen und schüttelte sich kaum merklich, so als wollte er eine Erinnerung loswerden. Mit raschen Schritten ging er zum Fenster und zog die Vorhänge zu. Dann knipste er eine Taschenlampe an und ließ ihren Schein durch das Zimmer wandern.
    Der Lichtkegel erfasste raumhohe Bücherwände, einen lederbezogenen Ohrensessel und mehrere kleine Beistelltische, auf denen sich Bücher stapelten. Auf dem Boden lag ein chinesischer Seidenteppich, an der gegenüberliegenden Wand hing ein großes goldgerahmtes Gemälde.
    Eine Uhr schlug.
    Der Mann zuckte zusammen und schwenkte den Lichtstrahl der Taschenlampe in die Richtung, aus der die zwei Schläge gekommen waren, bis er auf eine halbmeterhohe Tischuhr traf, die auf einem Schreibtisch in der hinteren Zimmerecke stand. Das dunkle Mahagoniholz schimmerte im schwachen Schein der Lampe. Auf der Schreibtischplatte türmten sich Stapel von losen Papieren zwischen Akten, Büchern und Zeitschriften.
    Mit wenigen Schritten erreichte der Mann den Schreibtisch. Ohne Zeit zu verlieren, öffnete er mit geradezu wissenschaftlicher Sorgfalt jede Akte, durchblätterte jede Zeitschrift, überflog die Papiere. Er arbeitete rasch.
    Wieder schlug die Tischuhr. Ein goldener Adler thronte über dem Zifferblatt, die Schwingen wie zum Abflug ausgebreitet, und starrte auf ein Silberetui, das zu seinen Füßen lag. Der Mann griff nach dem Etui, ließ es aufschnappen und leerte den Inhalt auf die Tischplatte. Eine Handvoll Zigarren rollte auf die Papiere und hinterließ eine Spur vertrockneter Tabakkrümel. Achtlos legte der Mann das silberne Etui auf den Zeitungsstapel.
    Er wandte sich den Schreibtischschubladen zu. Bis auf die rechts oben ließen sich alle problemlos aufziehen. Der Strahl der Taschenlampe huschte über Büroutensilien, Bankauszüge, Versicherungsunterlagen, einen abgelaufenen Reisepass und mehrere alte Pfeifen. Der Mann blätterte sie kurz durch und warf sie wieder zurück. Dann setzte er das Stemmeisen an der verschlossenen Schublade an. Das zierliche alte Schloss sprang auf und gab den Blick frei auf eine Taschenuhr, an der das Glas fehlte, und eine tintenbefleckte goldene Füllfeder. Der Mann zog ein Taschentuch aus der Hosentasche, griff damit vorsichtig nach dem Schreibgerät und las den eingravierten Namenszug. Kurz schien er zu zögern, dann warf er die Füllfeder mitsamt dem Taschentuch auf den Tisch und ließ sich in den Schreibtischsessel sinken.
    Langsam ließ er den Strahl der Taschenlampe durch das Zimmer wandern. Ihr Licht erhellte ein Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Es zeigte einen zu Boden gehenden Rehbock, der von zähnefletschenden Wölfen umstellt war. Ein Wolf hatte sich bereits im Rücken des Rehs verbissen. Der Maler hatte das vor Qual weit aufgerissene Maul des Tieres, seinen brechenden Blick, seinen letzten Atemzug eingefangen. Im Hintergrund erhob sich drohend eine Felswand. Die Szene schien von einem letzten Sonnenstrahl erleuchtet, dunkle Wolken zogen bereits am lichtblauen Himmel auf.
    Der Mann beugte sich vor über den Schreibtisch. Ein auf den Goldrahmen geschraubtes Messingschild blitzte auf: »Friedrich Gauermann, Einen Rehbock reißende Wölfe, 1830«.
    Der Mann wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er griff in die Tasche seiner Steppjacke und suchte vergebens nach dem Taschentuch. Es lag am anderen Ende der Tischplatte, noch halb um die goldene Füllfeder gewickelt. Behindert von der dicken Kleidung, griff der Mann mühsam nach dem Tuch. Dabei berührte er einen Stapel Papier, der mit leisem Rascheln zu Boden glitt. Der Mann fuhr zurück und stieß dabei an den Zeitungsstapel, auf dem das silberne Etui lag und der dadurch in eine gefährliche Schieflage geriet. Schnell griff der Mann danach, wobei sich der Ärmel seiner Jacke an der Ecke eines Ordners verfing. Für einen Augenblick schwankte der Aktenturm gefährlich, dann stürzte der ganze Stapel samt dem Etui mit einem dumpfen Schlag zu Boden.
    Erschrocken sprang der Mann auf, wobei er den Schreibtischsessel so unsanft zurückstieß, dass er krachend umfiel. Sofort erhob sich im Haus ein heiseres Hundegebell.
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