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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Autoren: Jakob Augstein
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Systems für sich wettmachen. Aber als sie aus den Geschäften kamen, waren ihre Gesichter grimmig, nicht glücklich. Die erlösende Wirkung hat nur der legitimierte Konsum. Die Plünderer versuchten, sich mit Gewalt in einen Zustand zu bringen, der mit Gewalt aber nicht herstellbar ist. Der Akt des Bezahlens gehört zum Akt des Konsumierens untrennbar hinzu. Erlösung, redemption , gibt es nur gegen Geld. Auch das Stehlen hat seinen Reiz. Aber der gläubige Konsumist findet sein Seelenheil nur in der süßen Lust des Kaufens.
    In den Zombiefilmen von George A. Romero haben die Menschen ihre Seele verloren, aber nicht ihre Konsumgewohnheiten: Die Zombies gehen weiterhin einkaufen. Sie schlendern vor den zerborstenen Schaufenstern zerstörter Shopping-Malls entlang, stehen vor leeren Regalen und vollführen stereotype, leerlaufende Bewegungen, die sie aus ihrem Vorleben als glückliche Konsumenten im Gedächtnis behalten haben. In Claude Faraldos Film »Themroc« bedeutete Michel Piccolis Rücksturz in den Urzustand noch die gesellschaftliche Revolution. Romeros Zombies ist der Urzustand verwehrt, ihnen ist Verwesung bei lebendigem Leib beschieden. Sie kennen keine Gesellschaft mehr und darum auch keine Revolution.
    »Wollen Sie eine Revolution?«, lautete die rhetorische Frage, die Wolfgang Kraushaar im Gespräch stellte. Nein. Wer will eine Revolution? Eine Reform genügt vollkommen. Aber eine, die den Namen verdient. Alain Badiou hat in einem Gespräch mit dem Journalisten Gero von Randow gesagt, so eine Reform müsse einen qualitativen Punkt überschreiten: »Was soll ich mir unter ›revolutionär‹ vorstellen? Sich bewaffnen und die Betriebe schnappen? Doch nicht im Ernst. Nein, wir sind in einer neuen Sequenz emanzipatorischer Politik.«
    Vielleicht hat es ja schon begonnen: Mit ein bisschen Optimismus könnte man die Meinung vertreten, ein zivilgesellschaftlicher Säkularisierungsprozess habe eingesetzt, der dem Volk das Opium der Kapitalismusreligion austreibt. Die neue Lust an der Partizipation gehört dazu. Der ganze Komplex von Ideen zur politischen Bildung, die ein Gewerkschaftsdenker wie Negt hin und her gewälzt hat, ebenfalls. Oder der Erfolg des britischen Sozialphilosophen Richard Sennett, der von der guten Handwerksgesellschaft redet, von der Rückkehr zu den Bindungen und vom Glück der Zusammenarbeit. Die Säle sind voll, wenn Sennett kommt, und die Leute lauschen voller Konzentration. Denn sie suchen so sehnsüchtig nach Antworten. Das sind alles keine Sachen für heute oder morgen, das sind langfristige Transformationen, so wie die Kolonisierung aller Lebensbereiche durch den Kapitalismus auch eine langfristige Transformation war.
    Es gibt einen intellektuellen Pessimismus, der gerade die größten Denker erwischt. Habermas hat 1985 geschrieben: »Heute sieht es so aus, als seien die utopischen Energien aufgezehrt, als hätten sie sich vom geschichtlichen Denken zurückgezogen. Der Horizont der Zukunft hat sich zusammengezogen und den Zeitgeist wie die Politik gründlich verändert. Die Zukunft ist negativ besetzt.« Und Oskar Negt schreibt heute: »Die Gegenwart leidet an einer chronischen Unterernährung der produktiven Phantasie.« Aber das stimmt gar nicht (mehr). Es gibt Phantasie ohne Ende da draußen.
    Aber in Deutschland hat sie es schwer, den Weg aus den Köpfen in die Wirklichkeit zu finden. Die Angst, der Gehorsam, die Tradition, die Vernunft – wir stehen uns selbst im Weg. Dabei liegt es nicht am mangelnden Interesse der Menschen. Es gab in den vergangenen Jahren so viele Debatten, die bewiesen haben, dass von der vielbeschworenen Politikverdrossenheit der Bürger keine Rede sein kann. Nicht die Politikverdrossenheit der Bürger ist ein Problem für die Demokratie, sondern die Entfremdung der Politiker von ihren Wählern. Die Bürger verlieren nicht das Interesse an der Politik. Es sind die Politiker, die das Interesse an den Bürgern verlieren.
    Politik ist ein schöner Beruf. Man kann sich mit Parteifreunden beraten und sich mit Parteifeinden bekämpfen. Man kann den politischen Gegner wahlweise ignorieren, umgarnen oder angreifen. Man kann den ganzen Tag lang Intrigen spinnen, und wenn man nicht mehr weiterweiß, befragt man einen Experten. Und dann erst das internationale Parkett: die Schlösser und Landhäuser, die Flugzeuge und Hubschrauber, die Limousinen, die Leibwächter. All das. Was für ein Leben. Hinterher wartet ein Posten in der Industrie, mindestens einer!
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