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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Autoren: Jakob Augstein
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ganz zufrieden. Für ihn hat die Revolution bereits begonnen. Es handle sich nicht um eine Machtübernahme im Handstreich, sondern um eine große, weltweite Transformation der Vernunft – die letzte große Weltrevolution sei jene von 1968 gewesen, die auch niemanden an die Macht gebracht und dennoch alles verändert habe: »Revolutionen sind also ein globales Phänomen. Was sie wirklich ändern, ist die fundamentale Auffassung von dem, worum es in der Politik geht. Im Gefolge einer Revolution werden Vorstellungen, die man bis dahin ausschließlich mit randständigen Spinnern verbunden hatte, im Handumdrehen zur akzeptierten Basis der Diskussion.« Eine erfolgreiche Revolution mündet in einen Paradigmenwechsel. Darum sei Occupy erfolgreich gewesen. Occupy habe die Art verändert, wie wir den Kapitalismus sehen, sagt Graeber. Die Ausläufer dieser Bewegung werden in die Fasern des Systems eindringen und es von innen heraus reformieren. Graeber ist Optimist. Das ist eine hilfreiche Eigenschaft, wenn man Vordenker einer globalen, kapitalismuskritischen Jugend ist.
    Aber es spricht einiges dafür, dass die Wahrheit eine andere ist. Am 9. August 2007 brach die Finanzkrise aus, wie ein Vulkan ausbricht – erwartet von einigen Experten, überraschend für alle anderen. Sechs Jahre danach gibt es in Deutschland und in Europa immer noch keine Finanztransaktionssteuer, mit der die Geschwindigkeit, die Rentabilität und die Anzahl der weltweiten Finanzgeschäfte reduziert werden könnten. Erst scheiterte der Versuch, alle 27 EU-Länder zu einer solchen Steuer zu bewegen. Dann gelang es nicht, wenigstens die 17 Eurostaaten auf dieses Ziel zu einigen. Schließlich fanden sich immerhin elf europäische Länder für das Projekt zusammen, darunter auch Deutschland. Und dann fiel der FDP ein, dass sie das Konzept nicht mittragen könne. Der FDP, die zwar zu diesem Zeitpunkt noch in der Bundesregierung war, die aber kaum mehr als fünf Prozent der deutschen Wähler repräsentierte, von ihrem politischen Gewicht im europäischen Maßstab ganz zu schweigen. Der deutsche Finanzminister plante also seinen nächsten Etat sicherheitshalber ohne diese Steuer, die wie kein anderes Instrument zum Symbol für den staatlichen Kampf gegen die Zerstörungskraft der Massenvernichtungswaffen an den Finanzmärkten geworden ist. Es hätte keinen besseren Beweis für die Machtlosigkeit der Staaten gegeben. Denn immer wird es eine FDP geben.
    Was hätte Occupy daran ändern können? Im Herbst 2011 hatte die Occupy-Bewegung in Deutschland Zustimmungsraten, die zwischen 80 und 90 Prozent lagen. Wann hat jemals eine Protestbewegung eine derartige Mehrheit hinter sich versammeln können? Weder die Friedensbewegung noch die Anti-Atom-Bewegung waren in ihren Zeiten so populär wie die Wut auf die Banken und die Finanzindustrie. Das war ein ungeheures politisches Potential. Aber es wurde nicht genutzt. Die Occupy-Bewegung hat nichts aus ihren Möglichkeiten gemacht. Noch einmal der Hamburger Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar:
    » Auf dem Höhepunkt der Occupy-Bewegung hätte man beispielsweise einen Sternmarsch auf Berlin organisieren können. Dazu hätte man offensiv ein paar Kernforderungen stellen müssen: Die Trennung von Investment- und Geschäftsbanken, die Einführung der Kapitalmarktsteuer, ein Verbot von Spekulationen mit Lebensmitteln, vielleicht ein halbes Dutzend nahezu selbstevidenter Forderungen dieser Art – damit hätte man vor den Bundestag ziehen sollen. Dort wäre es vermutlich auch zu Reibereien gekommen, weil der Bundestag schließlich durch eine Bannmeile geschützt ist. Aber so eine Form von Protest halte ich noch für vertretbar. Das ist für mich nicht etwa gleichzusetzen mit einer illegalen Aktionsform. Vermutlich wäre rasch der Vorwurf erhoben worden, hier läge eine Nötigung des Parlaments vor. Aber ich würde das nicht so sehen. Das hat nichts mit Gewalt zu tun, sondern mit zivilem Ungehorsam«.
    So einen Marsch hat es nicht gegeben. Kraushaars Berliner Kollege Peter Grottian sagt: »Der Occupy-Aufbruch war in Deutschland eventorientiert, aber kopf- und konzeptlos.«
    Kraushaar ist ein Gegner der politischen Gewalt. »Es gab nicht wenig Akteure, die dachten, man könnte mit genügend Entschlossenheit den Bau eines Atomkraftwerks verhindern. Aber das war ein Irrtum. Ich habe mich in den siebziger Jahren von der Idee einer positiven gesellschaftlichen Veränderung, die durch Gewalt herbeigeführt werden kann, für
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