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Sabihas Lied

Sabihas Lied

Titel: Sabihas Lied
Autoren: Alex Miller
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möchte ich dir danken.«
    Â»Ich habe doch bloß zugehört«, sagte ich.
    Â»Unsere Geschichte stand schon in meinem Herzen geschrieben. Was mir fehlte, war der Mut, sie zu Papier zu bringen. Und du hast mir Mut gemacht.«
    Das hörte sich recht feierlich an. Ich sagte so etwas wie: »Das sind ja tolle Neuigkeiten, John. Viel Erfolg!« Und dann schüttelte ich ihm die Hand.
    Â»Ich bitte dich nicht, ein gutes Wort für mich einzulegen, damit ich es veröffentlichen kann. Darum werde ich mich schon selbst kümmern. Es ist noch nicht fertig. Ich möchte es dir widmen.« John grinste. »Ich hoffe, das ist dir nicht unangenehm?«
    Es würde mir schmeicheln, sagte ich.
    Â»Ich nehme an, du steckst selbst mitten in einem Projekt?«, fragte er.
    Â»Ich habe ein Konzept für ein neues Buch.«
    Â»Ist es schon richtig ausgearbeitet?«
    Â»So ziemlich.«
    Â»Ich stehe dir gern zur Verfügung, wenn du darüber reden möchtest. Ich bin vielleicht nicht der ideale Zuhörer, aber du kannst es ja mal mit mir versuchen.«
    Â»Ich weiß das Angebot zu schätzen«, sagte ich, »aber im Moment möchte ich lieber nicht darüber reden, sei mir nicht böse.« Ich sah ihm in die Augen. »Aus Erfahrung weiß ich, dass man eine Geschichte gerade dann verliert, wenn man sie erzählt.«
    Er lachte nervös. »Ich habe meine Geschichte gerade dadurch gefunden.«
    Insgeheim dachte ich: Das werden wir ja sehen, aber ich sprach es nicht aus.
    Wir schwiegen noch eine Weile, und dann sagte er: »Jetzt weißt du praktisch alles, was es über mich zu wissen gibt, und ich weiß praktisch nichts über dich.«
    Â»Da gibt es nicht viel zu wissen. Mein Leben steckt in meinen Büchern«, antwortete ich und ging hinein ins Café, um unsere Getränke zu bezahlen.

A m selben Nachmittag suchte ich die Backstube auf, wartete, bis ich an die Reihe kam, und genoss den Anblick von Sabiha, die ihre Kunden bediente. Ich sehe so gern, wie sie sich bewegt, erfreue mich an ihrer ruhigen, zurückhaltenden Art, ihrer Anmut, während ich um ihre geheime Stärke weiß, ihre versteckte Tragödie, ihre Ausdauer und ihren Mut, es sogar mit einem Löwen aufzunehmen. Sie ist meine Heldin. Ich liebe sie, tief im Verborgenen. Von jeher habe ich nur über Gestalten schreiben können, die ich liebe. Ich kann noch so sehr von Zweifeln zerfressen sein – sobald ich aus ihrem Laden komme, weiß ich wieder genau, welches Ziel ich verfolgen möchte und warum.
    Sabiha bediente gerade eine Kundin, als sie sich plötzlich umdrehte und aus dem Fenster schaute. Die Frau und ich folgten ihrem Blick. Um diese Zeit herrscht immer viel Verkehr, und ich sah nichts anderes als die übliche Auto- und Lastwagenschlange hinter einem Bus. Von den Motorhauben stieg Hitzedunst auf. Die Kundin zeigte keinen Ärger über die Verzögerung, sondern betrachtete den Verkehr und die Passanten im Nachmittagslicht, als teilte sie Sabihas Interesse an diesem Schauspiel. Das war eines der wunderbaren Merkmale von Sabiha und ihrem Laden, die Entschleunigung, der stille Respekt, mit dem man den anderen hier begegnete.
    Rücksichtslose Menschen, Menschen, die es eilig hatten, rastlose junge Frauen in schwarzen Kostümen, die ihren nagelneuen Audi in zweiter Reihe geparkt hatten, waren noch keine fünf Minuten im Laden und entdeckten bereits die Vorzüge der Gelassenheit und Freundlichkeit. Dafür liebte ich Sabiha. Ich würde ihre Geschichte aufschreiben und ich würde weiterhin ihr Freund und Verehrer sein sowie der Freund ihres Mannes und ihrer bildhübschen Tochter, eine Miniaturausgabe der Mutter. Mein Teil von Carlton war nun dank Sabiha und ihrer Backstube so viel verheißungsvoller als zu Zeiten der verwaisten Reinigung und des trostlosen Supermarktes. Dank Sabiha fühlte ich mich in Carlton wieder heimisch. Ich hatte gar nicht mehr das Bedürfnis, nach Venedig zurückzukehren, um an einem Sommernachmittag zu verscheiden wie Aschenbach in seinem Liegestuhl. Nun war das Paris des Chez Dom mein Traum, meine Inspiration, und das würde ich ein oder zwei Jahre lang ausleben. Venedig konnte warten.
    Die Autoschlange bewegte sich weiter, und als der Bus vorbeigefahren war, erblickte ich John und Houria, die am Straßenrand auf freie Bahn warteten, um auf unsere Seite überzuwechseln. Ich habe mich nie übertriebener Nostalgie
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