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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut
Autoren: Anne Chaplet
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Küche, in einem Schwall kühler Luft, die nach verkohltem Holz und Löschwasser roch. Der Alte im Tweedjackett mit Halstuch, Moritz wie immer in Jeans und dunklem Pullover. Die scharfen Falten um den Mund schienen heute weniger ausgeprägt zu sein, und seine blauen Augen blitzten. Noch bevor sie aufstehen konnte, war er bei ihr, zog sie vom Stuhl hoch und umarmte sie.
    »Was ist los mit euch?« Sie würde sich gern anstecken lassen von der guten Laune, aber sie wurde den Brandgeruch in der Nase nicht los. Und das störende Gefühl, daß man irgend etwas hätte tun müssen, um das Drama aufzuhalten.
    »Gibt es genug Taschenlampen in diesem Haushalt?« Der Graf guckte mit unternehmungslustig blitzenden Augen in die Runde.
    Katalina kam sich sauertöpfisch vor, aber – woher nahm der Mann das? Hatte er nicht die Hand in einem Spiel gehabt, das innerhalb von nur zwei Wochen fünf Menschen das Leben gekostet hatte?
    »Gregor will in die Gruft.« Moritz immerhin machte den Eindruck, als ob er ihre Vorbehalte spürte. »Du kennst den Weg.«
    Gregor. Soso. »Und jetzt werden endlich die Schätze gehoben, für die sich drei Leute umgebracht haben?«
    Das Gesicht des Grafen verlor seinen entschlossenen Ausdruck. »Ich bin ein boshafter alter Greis, Katalina, aber – traust du mir das zu?«
    Ja, dachte sie.
    »Ja«, sagte Moritz. »Und deshalb gehen wir jetzt. Dann wissen wir es ganz genau.«
    Diesmal begleiteten sie keine Visionen aus vergangenen Zeiten, als sie hinter den beiden Männern durch den Gang lief. Wahrscheinlich vertrieb das vorwärtsstürmende Wesen der beiden so etwas feines, empfindliches wie die Schatten der Geschichte, dachte sie. Nur Zeus schien die Aura des Ortes zu spüren: er hielt die Nase in den Luftzug, der durch den Gang strich, angespannt wie eine Feder, bis sie in der Tür zur Krypta standen.
    Das Licht der starken Taschenlampe auf dem eisernen Katafalk in der Mitte des Raumes strahlte gegen die Decke des Kreuzgewölbes, das den Lichtschein zurückwarf. Der Graf kniete neben dem Sarg Gawans von Hartenfels, obwohl die Polizei ihn mit rotweißen Plastikbändern garniert hatte, was wohl hieß, daß man den Tatort nicht betreten durfte. Katalina interessierte das in diesem Moment genausowenig wie die beiden Männer. Ihr fiel nur auf, wie beweglich der alte Herr noch war. Und daß der Hohlraum unter der Bodenplatte, die er mit einem Messer hochgehebelt hatte, nicht groß genug war für kostbare Gemälde. Der Platz reichte höchstens für ein paar Rohdiamanten.
    Der Graf erhob sich nicht ganz so geschmeidig, wie er in die Knie gegangen war. Er hielt ein Bündel in der Hand. Etwas flatterte zu Boden. Blütenblätter, dachte Katalina und verwarf den Gedanken wieder.
    Er trug das Fundstück zum Katafalk und legte es behutsam ab. Im Schein der Taschenlampe, die Moritz auf das Bündel richtete, sah man eine Fotografie, stumpf geworden mit der Zeit. Darunter ein Packen Papier, eng beschrieben, soweit sie das erkennen konnte. Darunter graues, fleckiges, steif gewordenes Tuch, sorgsam zusammengefaltet, das der Graf achtlos zur Seite legte.
    »Alle Kinder auf Blanckenburg haben das Versteck benutzt«, sagte er. »Wenn Mathilde zu Besuch war, haben wir uns hier Botschaften hinterlegt. Sie und mein Bruder Folkert und ich. Und, später, viel später, als wir verlobt waren –«
    Die Fotografie. Ein schmales Gesicht, blonde, glatte Haare, ernste Augen. »Das war das Verlobungsfoto, das sie für mich hat machen lassen.« Der Alte strich mit dem Daumen über Mathildes Bild. Dann legte er es beiseite, faltete das beschriebene Papier, das darunter gelegen hatte, mit größter Vorsicht auseinander, fast andächtig, und starrte auf die Seiten. Eine Weile hörte man nichts, nur Atmen.
    »Lies du«, sagte er schließlich. Er hatte Tränen in den Augen.
    Katalinas Herzschlag stolperte, während sie Moritz zuhörte, der langsam las, manchmal stockte, wenn er ein Wort nicht gleich entziffern konnte. Sie kannte die Geschichte, auch wenn sie nicht dabeigewesen war.
    Während sie zusah, wie das Gesicht des Grafen weich wurde und dann versteinerte, während sie Moritz beobachtete, der zwischen Scham und Wut zu schwanken schien, sah sie vor ihrem inneren Auge endlose Trecks vorüberziehen, Frauen und Kinder, in Europa oder Asien oder Afrika, die aus allen Himmelsrichtungen kamen und in alle Himmelsrichtungen gingen, bedürftige Kreaturen, verfolgt von der Furie des Krieges.
    Es war das armseligste, was man sein konnte: ein
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