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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut
Autoren: Anne Chaplet
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zu können. Einige der Lagerfeuer qualmten noch. Zwischen den Feuerstellen menschliche Exkremente, Lumpen, verbeultes Kochgeschirr, Pferdeäpfel. Sie tastete sich vor zum Stall.
    Und dann waren sie über ihr.
    Sie gab keinen Laut von sich, und sie wollte auch nicht zählen. Und nur, als einer etwas sagte, das wie »Hure« klang, öffnete sie die Augen. Es war nicht der Major, natürlich nicht. Es war ein Mann, den sie noch nie gesehen hatte, einer mit ausgeschlagenen Schneidezähnen und einer breiten Narbe auf der Wange. Er spuckte ihr ins Gesicht, als er mit ihr fertig war.
    Es tat nicht wirklich weh. Es mußte wohl so sein.
    Viel schlimmer war, was sie nicht gleich bemerkte. Sie hatten Falla mitgenommen.
    »Ihr müßt weg, Mathilde. Lida und du. Gleich morgen.« Elisabeth setzte ihren Korb auf den Küchentisch. Sie hatte den Wodka, den die Russen dagelassen hatten, gegen Lebensmittel getauscht.
    »Und du?«
    »Ich bleibe hier«, sagte Elisabeth. »Es gibt keinen Ort, wo ich lieber wäre.«
    Mathilde sah den Frauen einer nach der anderen in die Augen. »Ich gehe sofort.«
    Es gab nicht viel zu packen. Die Satteltaschen brauchte sie nicht mehr, ein Rucksack genügte. Nur das Päckchen, das sie seit Jechow bei sich trug, auf dem Leib, und das ihr die Haut am Rücken blutig geschabt hatte, machte ihr Kopfzerbrechen. Sie wußte ja nun, daß ihr Leib kein sicherer Ort mehr war. Dennoch schob sie das Päckchen in den Hosenbund. Dann setzte sie sich aufs Bett und zog die Stiefel an.
    Sie hatten fast fünfhundert Kilometer durchgehalten. Warum nicht weitere fünfhundert?
    In der Küche hatte Elisabeth Brot und Wurst in ein Tuch gepackt und legte ein Messer obendrauf, nachdem sie es kräftig nachgeschliffen hatte.
    »Wo ist Lida?«
    Gudrun sah nicht hoch. »Sie zieht sich an. Sie packt.«
    Mathilde mochte nicht warten. Ihre Beine, ihre Füße, alles wollte losgehen. »Ich schau nach«, sagte sie.
    In ihrem Zimmer war Lida nicht. Auf dem Bett lag ein mageres Häuflein aus Socken und Unterwäsche. Der Rucksack stand noch neben dem Schrank.
    Als sie herunterkam, war Elisabeth schon an der Küchentür, das Gesicht wie gemeißelt. Man sah ihr an, was sie fürchtete. Mathilde schüttelte den Kopf. Elisabeth gab einen schwachen Seufzer von sich. »Sie konnte wohl nicht anders. Wenigstens du gehst. Sofort.«
    Mathilde marschierte die ganze Nacht, begleitet vom Donnern und Dröhnen, mit dem sich weiter südlich die Kriegsmaschinerie auf Berlin vorarbeitete. Das Ende war nah – und der Frühling.

4
    Blanckenburg, im April 2004
     
    Die Schläge dröhnten durchs ganze Haus. Sie waren vor der Tür, sie schlugen mit den Gewehrkolben dagegen, sie traten sie mit schweren Stiefeln ein, sie würden gleich im Haus sein, die Treppe hochlaufen, die Schlafzimmertür aufreißen, sie …
    Katalina hörte sich ächzen. Dann saß sie aufrecht im Bett, die Augen weit aufgerissen, mit rasendem Puls.
    »Frau Cavic!« Es pochte gegen die Haustür. Die Stimme klang nicht herrisch, nicht drohend, sondern ängstlich. »Hören Sie mich?«
    Katalina tappte zum Fenster, schob den Vorhang beiseite, blinzelte in einen wässrig blauen Himmel und sah dann hinunter auf eine Person, die einen Hut, Regenjacke und Gummistiefel über der Jeans trug, obwohl es heute nicht nach Regen aussah. Wenn sie sich nicht täuschte, handelte es sich um Sophie Franken.
    Sie fuhr sich durch die verstrubbelten Haare. Wahrscheinlich sah sie verschlafen und zerknittert aus. Egal, dachte sie und lehnte sich aus dem Fenster. »Was ist los?«
    Das Gesicht Sophie Frankens hellte sich auf. Die dunkelblonde Frau, die gestern geistesabwesend und spröde gewirkt hatte, sah plötzlich weich und verletzlich aus.
    »Ich störe Sie nicht gern – und das an Ihrem ersten Tag hier – aber Leo –« Sie machte eine vage Geste in Richtung Schloß. »Mein Hund, wissen Sie.«
    Katalina nickte. »Ich komme«, sagte sie, schloß das Fenster und schlüpfte dann in die Jeans und den Pullover, die sie schon gestern bereitgelegt hatte. Arbeitsklamotten. Sie hatte sowieso nicht daran gedacht, den Tag tatenlos im Bett zu verbringen.
    Leo lag noch immer in der Küche neben dem Sofa. Das Tier rührte sich nicht, als Sophie vor ihm niederkniete und Kosenamen flüsterte. Es trug ein makelloses schwarzes Fell, darunter feste Muskeln; eine weiße Brust und weiße Tupfer an den Vorderpfoten. Seine Ohren waren nicht kupiert. Eine deutsche Dogge, wie sie im Züchterstammbuch stand. Das Tier wirkte völlig
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