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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut
Autoren: Anne Chaplet
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Augen rieb und behauptete, die ganze Nacht über kein Auge zugetan zu haben. Elisabeth schnitt das Brot auf, das ein blutjunger Bursche namens Wanja vorbeigebracht hatte mit einem schönen Gruß vom Major. »Ich mache mir Sorgen um Lida«, sagte sie. »Ich war eben oben bei ihr, sie fühlt sich fiebrig an und scheint die ganze Zeit zu weinen.«
    » Ihr ist doch nichts passiert gestern«, sagte Gudrun spitz.
    »Dir auch nicht.« Mathilde empfand mehr Mitleid mit Lida als mit Gudrun. Die Ältere hatte erlebt, was Lida womöglich nie empfinden würde: Liebe, bevor man Sex miteinander hatte. Sie versuchte, nicht an Gregor zu denken. Sie verdrängte schon seit Tagen jeden Gedanken an ihn, so als ob sie ihm durch den inneren Kontakt ein Fenster öffnete, durch das hindurch er sehen könnte, wie sie aß und trank – mit dem Feind. Der womöglich auch nur ein Mann war wie alle anderen.
    »Ich gehe hinunter ins Dorf«, sagte Elisabeth, nachdem sie stumm ihren Ersatzkaffee getrunken hatte.
    Mathilde legte das noch feuchte Brot beiseite, das ihr trotz der Marmelade nicht schmeckte. »Ich komme mit«, sagte sie und holte ihre Stiefel hervor vom Platz neben dem Küchenherd. Die Schnürschuhe waren neu gewesen, als sie losritt, Soldatenstiefel. Jetzt lösten sich die dünngelaufenen Sohlen von den Schuhspitzen.
    Draußen auf dem Hof roch es nach Pferdemist und Männerpisse. Die Soldaten putzten die Gewehre, besserten Kleidungsstücke aus, versorgten ihre Pferde. Der Trupp führte zwei Kühe und ein Kalb mit sich. Der Kerl mit den vielen Uhren am Arm winkte grinsend zu ihnen herüber. Elisabeth nickte ihm zu und ging mit entschlossenen Schritten über den Hof. Niemand hielt sie auf.
    Im Park standen Geschütze unter den Bäumen und am Teich wuschen zwei Frauen ihre Wäsche – Soldatinnen offenbar, in Feldbluse und Mütze mit Abzeichen. Vor dem Tor weideten drei Männer ein totes Pferd aus; es würde also Pferdebraten geben. Mathildes Magensäfte reagierten beim bloßen Gedanken daran. Sie dachte mit Bangen an Falla – im Stall hatten sich Soldaten einquartiert, sie traute sich nicht nachzuschauen, ob es dem Tier gut ging. Sie blieb stehen und preßte die Fäuste an die Brust. Falla war die letzte lebendige Erinnerung an Jechow.
    Im Dorf sah es nicht viel anders aus als oben auf dem Hof. Die Russen hatten sich mit ihren Pferden in Läden und Garagen eingerichtet, es sah fast idyllisch aus, wie die Tiere hinter den zerschlagenen Schaufensterscheiben standen und fraßen.
    »Ach Gottchen, gnädige Frau«, sagte eine weißhaarige Alte. »Die Frau vom Schneider und die Kleine von nebenan haben dran glauben müssen – das Geschrei. Es war entsetzlich.« Elisabeth streichelte der Alten die Hand.
    Sie gingen von Haus zu Haus. Die Ruine des alten Rathauses rauchte noch. Den Lebensmittelladen hatten Soldaten auf der Suche nach Alkohol verwüstet.
    Niemand belästigte die beiden Frauen. Erst kurz vor der Kirche stellten sich ihnen zwei lallende Rotarmisten in den Weg. Der eine rief »Uri, Uri« und griff nach Elisabeth, der andere musterte Mathilde und versuchte ein gewinnendes Lächeln, das plötzlich erstarrte. Er packte seinen Kameraden am Arm und verschwand. Als sie sich umdrehte, stand Dschingis hinter ihnen und zündete sich umständlich eine Zigarette an.
    »Begleitschutz«, sagte Elisabeth. »Dem Major liegt an uns.« An mir, dachte Mathilde. Bildete sie sich ein, daß die Menschen ihnen mit Vorsicht, ja Mißtrauen begegneten, sobald sie den Schatten hinter ihnen sahen? »Wir sind Feinds Liebchen«, flüsterte Elisabeth. Sie hatte es auch gemerkt.
    Als sie zurückkamen, saßen Fedor und Wanja am Küchentisch und tranken. Gudruns Gesicht war leicht gerötet, sie flirtete mit dem Major. Elisabeth blieb in der Tür stehen. Mathilde sah fragend zu ihr hinüber. »Lida!« formten ihre Lippen lautlos. Aber man hörte es schon.
    Soldatenstiefel auf der Treppe. Männerlachen. Ein panischer Aufschrei.
    Der Major tat, als gehe ihn der Tumult nichts an. Die Tür flog auf, zwei Soldaten hielten das Mädchen gepackt. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie schrie nicht mehr, man hörte nur ihren keuchenden Atem.
    Endlich sah der Major auf, leerte das Glas in seiner Hand in einem Zug, stellte es auf den Tisch, zündete sich gemächlich eine Zigarre an und sagte: »So.«
    Gudrun machte den Mund auf. Wanja legte ihr warnend die Hand auf den Unterarm.
    »Sie haben mir nicht die Wahrheit gesagt. Sie haben mein Vertrauen mißbraucht. Ich habe Sie
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