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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut
Autoren: Anne Chaplet
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entgangen.
    »Ich habe darüber nachgedacht, ob wir nicht besser –«
    »Heute nicht, Alma. Unser Gast interessiert sich nicht für unsere Sorgen.«
    Katalina senkte den Kopf, damit niemand sie lächeln sah. Familie ist doch was Schönes, vor allem, wenn man sie nicht hat, dachte sie.
    Ein kluger Gedanke – nur schade, daß er wehtat.
    Nach einer Weile löste der Wein die Anspannung, unter der die Schloßbewohner zu stehen schienen. Schloßbewohner? Das Schloß war eine Ruine, seine Besitzer wohnten im Dienstbotenhaus und schienen auch noch auf das bißchen Miete angewiesen zu sein, die sie ihnen zahlte. Zugleich hielt man sich ein kostspieliges Pferdegespann. Seltsam.
    »Lachen Sie nur über uns.« Alma lehnte sich zu ihr hinüber, die Stimme verschwörerisch gesenkt. »So ist das in Familien. Abgesehen davon, daß es bei uns nicht die drei Schwestern sind, die sich zanken, sondern unsere Männer.«
    »Aber was denn! Peer ist die Bescheidenheit und Zurückhaltung in Person.« Alex grinste spöttisch. »Und im übrigen bin ich sicher, daß Katalina das alles brennend interessiert.«
    Ersatzweise begannen nun alle, sie auszufragen. Verheiratet? Nein. Kinder? Keine. Haustiere? Nicht mehr. Noch nicht. Als irgendwann die Küchentür aufging, schaute keiner hin. Eine zarte, unauffällige Person, die vom Alter her nur Erin sein konnte, schlüpfte auf den freien Stuhl neben Gundson. Alma bemerkte sie als erste und schien sie fragend anzusehen. Erin hob die Schultern und ließ sie wieder fallen und schüttelte dann leicht den Kopf. Alma seufzte, räumte die Teller zusammen und stand auf.
    Katalina verabschiedete sich, sobald es die Höflichkeit zuließ. Als sie, von Alex begleitet, hinausging, hob die Dogge den Kopf. Was für ein schönes Tier, dachte sie noch und sah erstaunt, wie sich der Blick des großen Hundes verschleierte und ihm der Kopf wieder auf die Pfoten sank.
    Kemper trug ihr das Gepäck zum Kutscherhaus. Er atmete wie sie tief durch, als sie durch die kühle Nachtluft gingen. »Wir sind – eigentlich ganz normal, Katalina«, sagte er nach einer Weile.
    Erwartete er eine Antwort?
    Das Kutscherhaus war schäbig eingerichtet, aber es hatte Zentralheizung und warmes Wasser. Katalina legte sich in die Badewanne und kroch schließlich angenehm durchgewärmt und todmüde ins Bett. In der Nacht träumte sie von Flicka, der alten Mähre, die sie vor den Leiterwagen gespannt hatten, wenn Großvater sie mitnahm zum Markt in Glogovac. Sie träumte von einem warmen Pferdestall, vom malmenden Geräusch, mit dem die Stute den Hafer fraß. Von ihrem leisen Schnauben. Vom Meckern der beiden Schafe. Von dem betäubenden Geruch aus Heu, Schafwolle und Pferdeäpfeln. Von Gavro.

3
    Auf der Flucht, März 1945
     
    Das war kein Kaffee, auch wenn er so aussah. Wenigstens war die Brühe heiß. Mathilde legte beide Hände um den Becher und pustete. Ihre Finger waren dünn geworden in den letzten Wochen, in denen sie krank im Bett gelegen hatte.
    »Wir hatten dich fast schon aufgegeben, Kindchen«, hatte Elisabeth gesagt, als Mathilde wieder zu sich gekommen war. Ihr Gesicht war das erste, was sie wahrgenommen hatte: ein ruhiges Frauengesicht, die Strenge, die ihm die scharfe Nase und das aus der Stirn gekämmte und am Hinterkopf zusammengesteckte Haar gab, gemildert durch das spöttische Blitzen in den grauen Augen. Später schob sich Gudrun in ihr Gesichtsfeld, schmales Gesicht, kühle Hand, nervöse Stimme. Und Lida, ein Schatten, der vorbeischwebte und wieder im Hintergrund verschwand.
    Mathilde stand allein in der großen Küche des Dorotheenhofs, der gleich außerhalb des Örtchens Dammwiese lag. Was für ein Glück, daß Falla den Weg hierhin gefunden hatte, in diese Frauengemeinschaft, die der Krieg gestiftet hatte. Die anderen waren unterwegs, holten Holz, organisierten Eßbares. Eine hatte früh schon Wasser aufgesetzt, das auf dem Küchenherd summte. Mathilde hob den Deckel. Es war heiß genug für den Abwasch.
    Acht Teller, vier Gläser, Besteck. »Und wenn es die Henkersmahlzeit ist«, hatte Elisabeth gestern nachmittag verkündet. Und dann waren die Frauen in Keller und Vorratsräume ausgeschwärmt und hatten die Regale geplündert. Eingelegtes, Eingemachtes aus dem vergangenen Sommer. Die vorletzten Kartoffeln. Vier Flaschen roten Burgunder, den Elisabeths Mann für festliche Anlässe zurückgelegt hatte.
    Elisabeth v. Rhein war Herrin des Dorotheenhofs, seit ihr Mann gefallen und ihre Tochter verschollen war. Für
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