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Rune

Rune

Titel: Rune
Autoren: Brian Hodge
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Hürdenspringer Horton.
    Doch das ist kein Grund, für jemanden Haß zu empfinden. Mitleid? Ja Zuneigung? Vielleicht. Wir haßten ihn, weil er ein widerliches Arschloch war. Auf unseren Wochenendfahrten vergoß er Bier und Doritos über sich und uns. Er lachte zu laut. Er riß dumme Witze, über die er dann noch lauter lachte. Und es ist unmöglich, Mädchen aufzureißen, wenn man mit einer schwachsinnigen Amöbe mit fettigen Haaren auf dem Rücksitz herumfährt, die lauter brüllt als der Kassettenspieler. Was konnten wir – von Mord abgesehen – tun? Typen wie Hürdenspringer wird man nur schwer wieder los. Nun, Phil hatte eine Idee …
    Wir lockten Hürdenspringer eines Abends im Frühling mitten in der Woche aus dem Haus. Er kam gerade erst von seiner Musikstunde (er spielte natürlich Tuba) und hatte noch nicht zu Abend gegessen. Wir hatten einen Pack Dosenbier dabei und ließen ihn eins nach dem anderen trinken, so schnell er nur konnte. Acht Biere später gab er einen letzten Rülpser von sich und brach auf dem Rücksitz des Dusters zusammen. Phil hielt an einer Landstraße, und wir schwirrten geschäftig wie Chirurgen um Hürdenspringer herum. Wir rollten ihn auf seinen riesigen Bauch. Zogen seine Hosen runter. Hielten den Atem an.
    »Seht euch das an!« schrie Rick. »Er hat sogar dort unten Pickel!«
    Ich kicherte. »Hat jemand Lust, ›Verbinde die Punkte‹ zu spielen?«
    Über meine Schulter stimmte Phil mir zu. »Wir sollten es tun, bevor er wieder aufwacht. Wenn er uns dabei erwischt, hält er uns für einen Haufen Schwuchteln.«
    Wir nickten feierlich, denn dies war ein Schicksal, das kein heterosexueller junger Mann erleiden wollte. Und so bemalten wir Chucks Arsch so schnell wie nur möglich mit blauer Tinte, die ich aus dem Architekturbüro meines Vaters geliehen hatte, als ich ihn an jenem Tag auf der Arbeit besucht hatte. Nachdem die Tinte trocken war, zogen wir ihn wieder an und fuhren weiter. Als Hürdenspringer etwas später wieder zu sich kam, beklagte er sich über Bauchschmerzen, hatte sonst aber nichts dazugelernt.
    Der Moment der Entdeckung mußte natürlich ein öffentlicher sein, und auch dafür hatte Phil gesorgt. Am nächsten Morgen hatten wir alle vier in der ersten Stunde Sport. Wir erschienen mit einem üblen Kater, doch wir waren uns sicher, daß wir für diese Schmerzen mehr als entlohnt werden würden. Nach der Stunde, als wir in die Umkleidekabine zurückgekehrt waren und uns zum Duschen auszogen, machte sich ein nackter Hürdenspringer Horton auf den Weg unter die Dusche. Um ehrlich zu sein, bewegte er seine Masse ziemlich behende, doch dieses Mal bogen sich drei Dutzend Typen vor Lachen bei seinem Erscheinen. Verwirrt steuerte er auf einen großen, beschlagenen Spiegel zu und vollführte eine plumpe Pirouette. Als er das Problem erkannte, wurde sein Gesicht leuchtend rot, und er fing an, am ganzen Leib zu beben. Da kam Friedman, der Sportlehrer, herein, sah Hürdenspringer und seinen stahlblauen Arsch lange an, schüttelte dann traurig den Kopf und sagte: »Chuck, seit Jahren warne ich euch Jungs und halte Vorträge über Geschlechtskrankheiten, und was nutzt es? Nichts!«
    Das Lachen erscholl lauter als zuvor. Hürdenspringer warf uns einen anklagenden Blick zu, hob einen zitternden Finger und stammelte ein paar Worte, die niemand verstehen konnte. Dann lief er zu seinem Spind, zog sich an und sammelte sich, soweit er nur konnte, um dann aus dem Umkleideraum zu fliehen, ungeduscht. Vermutlich zum Verdruß seiner Klassenkameraden.
    Die meisten erschienen daraufhin zu spät zur zweiten Stunde. Schließlich ist es äußerst schwer, gleichzeitig hysterisch zu lachen und sich anzuziehen. Ich glaubte, Rick und ich könnten nie wieder aufhören. Doch Phil betrachtete sich das ganze Szenario mit einem unbeschwerten Lächeln, als wäre er gerade in einem Film gewesen, den er schon ein dutzendmal gesehen hatte. Nur wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, daß dies seine schönste Stunde war.
    Wir hatten großartige Zeiten zusammen erlebt, Phil, Rick und ich. Und wenn ich nun auf diese Tage zurückblicke, ist eine Tatsache unabänderlich: wie eng die Freundschaft zwischen uns dreien auch war, sie hatte im Klassenzimmer der Mavis Veach begonnen und war aus Furcht geboren.
    Das ist irgendwie passend. Denn daran sollte sie auch zugrundegehen.

3.
     
    Ich liebte es, am Sonntag zu Hause zu sein. Es schien, daß der Sonntag die einzige Möglichkeit bot, eine Zeit gemeinsam als Familie
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