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Rune

Rune

Titel: Rune
Autoren: Brian Hodge
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weil sich noch keine Hornhaut gebildet hatte. Phil und ich schrieben ihn ab, da wir ihm nicht so wichtig wie dieser Kasten aus lackiertem Holz mit sechs Saiten waren, und wir vermuteten, daß er seine Eltern oft strenger darstellte, als sie es tatsächlich waren, nur damit er eine Entschuldigung hatte, im Haus zu bleiben und zu üben.
    Doch dann änderte sich unsere Einstellung mit einem Schlag, als Rick seinen ersten Auftritt hatte.
    Jedes Jahr im Mai wurde an unserer Schule ein Talentwettbewerb veranstaltet. Das hieß für uns: eine Stunde unterrichtsfrei und einige Lacher, von denen manche sogar beabsichtigt waren. Rick hatte das Glück, als letzter auf dem Programm zu stehen. Nach einer Stunde mit mittelmäßigen Tanznummern, einem schrecklichen Violinduett und nicht einem, sondern gleich zwei Typen, die Witze von Steve Martin rezitierten, konnte seine Darbietung nur besser abschneiden. Rick schritt auf die Bühne, fast erdrückt von seiner großen Gitarre, lächelte das Publikum schüchtern an, und riß dann alle mit einem kurzen, pseudoklassischen Solo namens Mood For A Day vom Hocker, das er einem seiner alten Yes-Alben entlehnt hatte. Rick erhielt tosenden Beifall, und Gerüchte besagten, daß sogar Mavis Veach lächelte.
    Jetzt vergaben Phil und ich Rick für jedes Mal, da wir uns von ihm vernachlässigt gefühlt hatten. Phil gab ihm den Spitznamen Twang, und von da an waren wir wieder die besten Kumpel. Ich wünschte, ich könnte sagen, daß wir ihm vergeben hatten, weil wir erkannt hatten, wieviel Hingabe es braucht, um ein solches Talent zu bändigen. Zum Teil war dem auch so, doch ich glaube, die reine Selbstsucht spielte eine ebenso große Rolle dabei. Wir wollten uns so viel wie möglich in seinem Ruhm sonnen.
    Er fügte während unserer Zeit an der High School seiner Sammlung einige weitere Gitarren zu. Am Ende unseres ersten Jahres kaufte er eine elektrische Les Paul, und ein Jahr darauf erstand er in St. Louis eine gebrauchte, zwölfsaitige Martin. Rick liebte diese Gitarre und hegte sie wie ein unschätzbar wertvolles Erbstück. Er bestand darauf, sie bei unseren Fahrten stets bei sich zu haben. Doch das war in Ordnung. Jetzt wußten wir bereits, daß es keine Alternative gab.
    Übrigens liebte ich es, ihm beim Spielen zuzusehen. Wenn er auch heiß genug spielte, um den Panzer eines Rhinozerosses zu verbrennen, grimassierte er äußerst selten wie ein typischer Gitarrenheld. Er zeigte stets sein schüchternes, schiefes Lächeln. Und ich wußte, daß Rick einer der glücklichsten Menschen auf Erden war. Wenn er mit seinem Gitarrenspiel nie auch nur einen Heller verdiente, so war er uns doch weit voraus. Denn nur wenige schienen mit einem Talent gesegnet, das sie so leidenschaftlich liebten.
    Während Rick durch sein Gitarrenspiel viele neue Freunde gewonnen hatte, von denen ihm die meisten gleichgültig waren, hatte Phil nur denen etwas zu sagen, denen er schon nahestand. Man hatte ihm wieder und wieder erzählt, daß er eine schreckliche Einstellung hätte und mehr auf andere zugehen sollte – eben all diese Standardsätze, auf die Erwachsene zurückgreifen, wenn sie dir zeigen wollen, daß die Fehler nur bei dir liegen. Doch er war glücklich so, wie er war.
    Für mich beschreibt ein Vorfall Phils Wesen am besten. Es war zu der Zeit, als er uns von dem gefürchteten Chuck Horton befreite, einem Typ, der uns an der Junior High als seine Freunde betrachtete. Als wir unserer selbst noch unsicher waren und ihn aus Mitleid akzeptieren wollten, und weil wir ihn wirklich noch nicht kannten, und auch, weil neben ihm sogar wir gut aussahen. Jeder kennt im Laufe seines Lebens einen Chuck Horton – den ewigen Verlierer ohne wirkliche Freunde. Das beste, das solchen Menschen passieren kann, ist, von einigen Leuten für eine Weile toleriert zu werden.
    Chuck war fett, anders kann man es nicht ausdrücken. Auch sein Gesicht war schwabbelig. Es sah aus, als hätte jemand es aus Teig geformt, um dann mit der Faust fest hineinzuschlagen. Alle nannten ihn Hürdenspringer, wegen eines Vorfalls bei einem Sportfest in der Junior High. Er hatte darauf bestanden, den 220-Meter-Hürdenlauf zu machen, und nichts hatte ihn abhalten können. Der Startschuß knallte, und Chuck schaffte es, über die ersten drei Hürden zu rollen und nach jedem Sturz weiterzustolpern. Er hätte wohl ein Viertel abgegrast, wenn man das Rennen nicht beendet hätte. Von da an war es Chucks Schicksal, als Hürdenspringer bekannt zu sein.
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