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Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde
Autoren: Eva Demski
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Kärtchen zwischen den Fingern, wackelt mit den Zehen, bemüht sich, einen exorbitant mächtigen weißen Bademantel neben sich nicht zu sehr anzuglotzen und auf das enttäuschte oder triumphierende Gemurmel hinter der geschlossenen Tür nicht zu interessiert zu horchen. Vor der Waage und der blutdruckmessenden Schwester sind alle gleich. Die Schwestern sind rank und freundlich, von einer sehr wohltuenden, unaufgesetzten und fast privat anmutenden Liebenswürdigkeit: Nicht als müßten, sondern als wollten sie ihrer Klientel die Sache leichtmachen. Danach wandern die weißen Gestalten wieder in ihre Zimmer, zum morgendlichen Tee: Später wird man Zeugin eines sehr ernsten Streit
gesprächs zwischen vier Herren, deren Gesichtsfarbe gourmetöse Fähigkeiten ebenso verrät wie gute Weinkenntnisse. Sie unterhalten sich über die geschmacklichen Unterschiede zwischen Hagebutten- und Malven-, Fenchel- und Pfefferminztee. Sie haben, denke ich, keine Ahnung. Apfelschalentee! Apfelschalentee ist das Ultimative. Nachts tausche ich heimlich den mir zustehenden Fencheltee gegen die begehrte Köstlichkeit aus, die eigentlich auf einem Tischchen im Flur zur allgemeinen Verfügung steht.
    Man sollte, wenn man fastet, ein Zimmer zum See haben: Er sorgt für eine große Ablenkung mit seinen Inszenierungen aus Wolken und Farben, Sonnenaufgangsoper oder Nebelmelancholien. In kühleren Jahreszeiten steigt die Dampfwolke vom Schwimmbecken unten hinauf zum Haupthaus. Ich stelle es mir schwierig vor, im Sommer zu fasten: Die mehr oder minder verlegen genossenen Kinderfreuden, auf die wir gleich kommen werden, wären im Sommer falsch plaziert. Nach dem Mittagessen, das manche mit mühevoller Ironie so nennen und das ein weiteres Trinken ist, kommen die Faster nämlich ins Warme. Die Becher mit Gemüsebrühe und Saft werden in einem hübschen Saal eingenommen, Gruppen von Polstersesselchen, niedrige Tische, wieder der schöne Blick hinaus für die, die sich entschlossen haben, keinen anderen »Anschluß« zu suchen als hoffentlich den an sich selber. Die suppeverteilende Dame hat ein weißes Schürzchen, flinke Augen, und man kann erkennen, wer in ihrer Gunst steht: Die kriegen mehr Petersilie obendrauf. Petersilie ist was zum Kauen.
    Hier scheiden sie sich, hier in diesem nicht einschüchternd eleganten Salon, hier wird klar, wer sich zur vita activa rechnet und wer zur vita contemplativa. Die einen platzen vor lau
ter Terminen aus den Nähten, der Tag, der einem doch durch den Wegfall der Nahrungsaufnahme länger erscheinen müßte, reicht gar nicht aus für all das Meditieren, Wandern, Tennisspielen, Schwimmen, die Gymnastik – Leib und Seele wollen sie so energisch Beine machen wie noch nie zuvor im Leben. Konzert in der Birnau oder Seidenmalen: Siehe, sagen einige erstaunte Gesichter, wieviel das Leben außer Essen noch bereithält! Sie schnüren in Gruppen die Schuhe, entern die Busse, und ihre Wasserflaschen klirren dezent.
    Nicht so die, denen die einzig verlockende Reise ins eigene vernachlässigte Innere zu gehen scheint! Die dehnen jene Wärme und Stille, die wir vorhin andeuteten, auf alle Tage aus. Nach der Gemüsebrühe im Salon kommt nämlich für alle, auch die Zappeligsten, die Stunde des Leberwickels, zur Entgiftung, Alle in die Betten und wie Kinder mit Bauchweh die Schwester erwartend, die warme nasse Tücher und warme trockene Tücher um die Mitte der Menschen schlingt, bis sich die wehrlose Zufriedenheit eines Wickelkindes einstellt. Dann duseln alle, nehme ich an, und lassen sich vom See und von den Wolken nicht auf andere, sondern auf gar keine Gedanken bringen. Selbst die alle zwei Tage erfolgende innere Reinigung von der anderen Seite her, der unvermeidliche »Einlauf«, wird offenbar von Leuten akzeptiert und mit freundlichem Ernst hingenommen, die sonst bei einer solchen Zumutung davonlaufen würden.
    Die Mittagsstunde der Ruhe und Entgiftung, der inneren Reinigung und Entschlackung ist fast heilig, ein zauberbergisches Träumen stellt sich ein, und das mag für manche der Patienten eine sehr ungewohnte Erfahrung sein.
    Der berühmteste Frankfurter Verleger kam jahrelang hierher, er stellte ganz ungewöhnliche Rekorde in Fastendauer
und Schwimmen über den See auf. Zwar stelle ich mir immer vor, daß er sich gleichsam substantiell mehrfach auf den Gängen der Klinik Buchinger begegnet
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