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Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde
Autoren: Eva Demski
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sein müßte, so viel hatte er immer wieder von sich hier zurückgelassen. Er hat aber vom Bodensee mitgenommen, was anders gewogen wird: etwa sein schönes Buch »Goethe und seine Verleger«. Auch sein Ginkgo-Buch ist hier entstanden. Doch mit Nachrichten und Geschichten über die fastende Prominenz ist der Chef von liebenswürdiger Sparsamkeit – die Klatschfürstinnen und -fürsten sind sowieso eher in der Tochterklinik Marbella zu finden. Arabische Royal Highnesses allerdings haben das leise Gefüge schon mehrfach durcheinandergebracht, mit Heerscharen von sich mopsenden Leibwächtern und der Forderung, das Schwimmbad zu schließen, wenn eine dicke Hoheit drin zu baden wünschte. Aber so weit kommt man den morgenländischen Wünschen hier nicht entgegen.
    Es gab Bianca Jagger, für die Weizengras angepflanzt werden mußte, weil das grade in Amerika als Jugend- und Gesundheitselixier galt, Philippe Starck war da, und gelegentlich gibt es wie bei Thomas Mann einen guten Russentisch. Wenn man nicht will, sieht man außer den Schwestern und seinem Arzt gar niemanden. Man kann sich völlig verpuppen und nach den ersten dahingegangenen Kilos eine Schmetterlingsahnung empfinden: braucht man ja keinem zu sagen. Ich denke mit Zuneigung an eine Dame, die am Tage nachdem die morgendliche Wahrheit »Unter hundert! Unter hundert!!!« gelautet hatte, in einen zweitägigen Klamottenkaufrausch verfiel. Die Klinik und Überlingen – das ist gewiß ein interessantes Kapitel, nicht ohne Ecken und Kanten. Aber sie ist unstreitig ein Wirtschafts- und Werbefaktor, mit fast zweihundert Mitarbeitern für hundertfünfzig Betten – das
heißt, ganz so viele sind es nicht mehr, auch an der klassischen Klinik ist die Zeit mit ihren Einschränkungen nicht spurlos vorbeigegangen. Merken tut man aber nichts davon, wenn man hier ist – vor, nicht hinter den Kulissen.
    Grandiositätsphantasien wechseln mit Anfällen von Demut ab, und sonst praktische Naturen fallen nach ein paar Fastentagen durch überraschende philosophische Gedankengänge auf, etwa über all die Menschen auf der Welt, die nichts zu essen haben – und hier: Also man kommt schon ins Grübeln! Die kulturelle Bedeutung des Fastens bei vielen Völkern und in vielen Religionen kann den Kummer dann etwas mildern, sie wird jedenfalls meistens ins Feld geführt, wenn jemand, ungewohnt dünnhäutig geworden, Zweifel über die moralische Berechtigung seines Aufenthalts äußert. Meine herzlose Bemerkung, die Hungernden der Welt hätten genausowenig davon, wenn man sich vollstopfe, wurde nicht recht akzeptiert. Man darf aber nicht verschweigen, daß nicht alle mit dem Fasten klarkommen. Manche betrügen sich selbst, in der Stadt, und beschweren sich dann heuchlerisch, manche packt einfach die nackte Angst, das muß man ernst nehmen. Der Hunger als traumatische Erfahrung ist bei manchen Älteren noch nicht aus dem Leben verschwunden, das Essen als Lebenstrost, als Belohnung für ein vielleicht ziemlich graues Dasein, der Speck als Mauer gegen die Einsamkeit. Man lernt sie mit der Zeit zu unterscheiden, die vielen Sorten Fett, die sich die Menschen aufpacken, schmelzbereites und beharrliches, fröhliches und trauriges, festes und schlappes. Eine Dame aus der Schweiz, wie eine Boterofrau schön geformt, verbringt täglich vier Stunden im Schwimmbecken, hin und her, hin und her, aber sie schwimmt sich nicht davon. Ein Faster, der ein ziemliches Gebirge abzutra
gen hat, schläft einfach. Er schläft und schläft, und die Schwester verrät, daß sie schon eine engere Blutdruckmanschette nehmen konnte. Er braucht den See nicht und die schönen Bäume im Park, er will sich gar nicht den Versuchungen unten im Ort aussetzen, die zu leugnen mir nicht einfällt. Das Heroische war mir schon immer fremd, und manchmal schwebt in knusprigem Panademäntelchen ein Schnitzel vor meinem inneren Auge vorbei, gefolgt von schlanken, zartgelben Pommes. Das gehört sich nicht, aber es ist halt so, und man muß es beim Schweben lassen.
    Der Speck und die Seele: Es ist die jetzige Richtung der Klinik, und das ist logisch. Wo der Erzvater Buchinger noch an Knochen und Rheuma, schädliche Genußsucht und geschwollene Lebern zu denken hatte, denen er Heilung versprach, ist die Sache heutzutage vertrackter geworden.
    Mittags, nach der Ruhestunde, gibt es den
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