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Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde
Autoren: Eva Demski
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Gemüse. Und zum Abschluß eine geräucherte Leberwurst reingedrückt, das Ganze noch mal aufgekocht. Wir – fünf Frauen unterschiedlichen Alters und Gewichts – hängen an den Lippen der platonischen Köchin. Platonisch ist, wenn nichts Richtiges passiert. Die Suppe, an der wir uns die fastenkühlen Finger wärmen, ist auch platonisch, gewissermaßen die Idee einer Suppe, reine Substanz, sternenweit von so widerwärtigen Genüssen wie geräucherter Leberwurst entfernt.
    Es ist ein Frühlingstag, hoch über dem Bodensee, hoch über der Stadt Überlingen, ein an den Hang gebautes Haus mit dem scheuen Charme der Fünfziger: die Klinik Buchinger. Seit vielen Jahren ein berühmtes, klassisches Ziel für alle, die sich oder anderen zuviel sind. Davon aber später. Fangen wir mit der Fassungslosigkeit unserer Freunde an, die wir ernten, wenn wir irgendwann ganz beiläufig sagen: Übrigens, ich hab' mich zur Fastenkur angemeldet! Verständnisvolles bis neidisches Nicken kommt nur von Menschen, die da schon mal waren. Alle anderen Reaktionen schlagen den Bogen von: »So viel Geld dafür, daß du nichts zu fressen kriegst!« bis »Das ist ganz ungesund, das hast du doch gleich wieder drauf!« Oder, die ehrliche Variante: »Es könnte mir nicht schaden, aber allein der Gedanke scheucht mich sofort an den Kühlschrank.« Dann gibt es noch ein Buch, es kostet wenig, und auf dem Umschlag ist eine Riesenhose zu sehen,
aus der ein schlanker Mensch hopst. Will sagen: Das kannst du daheim auch, sonst ist das einzige, was dauerhaft mager wird, dein Portemonnaie.
    Ach, alles falsch. Fasten ist etwas ganz anderes, für jeden unterschiedlich, und von den asketischen Anfängen des ebenso strengen wie welterfahrenen Otto Buchinger, der die Überlinger Klinik noch in seinem achten Lebensjahrzehnt gründete, war es ein langer Weg bis zur heutigen Mischung aus wohltuender Regression und Kampf gegen die innere Schweinehundmeute, aus Seelenheil und Körperversöhnung. Längst hat der Luxus Einzug gehalten, aber so leicht läßt sich das Aroma der Entsagung nicht vertreiben.
    Sie wüßten natürlich, sagt der Chef in dritter Generation Raimund C. Wilhelmi, daß es heutzutage nötig sei, bei den global players mitzuspielen. Die Villa auf dem großen Fichtenau-Grundstück heißt Belgrano und bedient den Fünfsternebereich. Zwar ohne goldene Wasserhähne, aber edel und großzügig. Die vier Suiten sind immer ausgebucht.
    Nein, Fasten macht den Menschen nicht bescheiden, im Gegenteil. Auch da gibt es Unterschiede, aber viele, denen ihre Umgebung zu Hause und mit ausgefüllten Magen und Tagen gleichgültig ist, beginnen hier wahrzunehmen: Farben, Materialien, Gerüche, Geräusche – das steigert sich mit jedem Fastentag. Neue Neuankömmlinge erkennt man an ihrem resigniert-trotzigen, todesbereiten Gesichtsausdruck. Besonders Männer schauen oft drein, als sollten sie in den Krieg ziehen. Natürlich nicht die Kenner, jene alerten Dreiergrüppchen, die stolz ihre Hosenbünde von sich weghalten, das Fasten einmal im Jahr anstatt eines Kegelausflugs exerzieren, den Golfplatz bevölkern und niemals über Essen reden. Sondern jene (das sind gar nicht so wenige), die es für Sünde halten, etwas
zu bezahlen, das man nicht bekommt, denen es nichts ausmacht, daß sie ihre Fußspitzen und manch anderes schon seit Jahren nicht mehr gesehen haben, und die erst dem dritten Arzt glauben. Die schauen sich mit hochgezogenen Schultern um, wittern eine Verschwörung gegen den gesunden Menschenverstand, und manche von ihnen sieht man nach Tagen im Ort an der Pizzabude.
    Die meisten aber lernen sachte, die Situation zu genießen. Nach dem Entlastungstag, der dem Menschen vorgaukelt, er sei schon bis zur Unkenntlichkeit abgemagert, beginnt das Fasten, die innere Wäsche, die wochenlang mit großen Mengen von Flüssigkeit vorgenommen wird, auf allerlei Art, die nicht jeder gleich mag. In den ersten Tagen erscheint jener Entlastungstag – Reis oder Obst – immer mehr als letzte zufriedenstellende Völlerei, bis man den sanften Rhythmus des Entzugs allmählich schätzen lernt.
    Als erstes wandert am Morgen eine weißbemäntelte schweigsame Schar mit Schlappen zur Buchingerschen bocca di verità – zur Waage. Die Wartestühle im Flur sind belegt, man hält sein
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