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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht
Autoren: Maggie Stiefvater
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sich. Die Wölfe blieben stehen, einige liefen zu mir zurück, wie um mich zum Mitkommen zu bewegen, aber ich konnte nicht. Zuckend lag ich auf dem Boden, glitschige Frühlingsblätter klebten mir auf der Haut und mit einem Mal war die Luft so warm, dass ich kaum noch atmen konnte.
    Meine Finger krallten sich in die frische schwarze Erde, pressten sie unter Fingernägel, die plötzlich zu kurz waren, um sich damit zu verteidigen, rieben sie in Augen, die alles in leuchtenden Farben sahen.
    Ich war wieder Cole. Der Frühling war zu schnell gekommen.

KAPITEL 3
ISABEL
    An dem Tag, als der Polizist im Buchladen gewesen war, klagte Grace zum ersten Mal über Kopfschmerzen. Das klingt vielleicht nicht besonders ungewöhnlich, aber seit ich sie kannte, hatte sie nie auch nur einen Schnupfen erwähnt. Und für Kopfschmerzen war ich schließlich Expertin. Sie waren sozusagen ein Hobby von mir.
    Nachdem ich mir Sams Eiertanz mit dem Polizisten angesehen hatte, fuhr ich zurück zur Schule, die mittlerweile eine relativ untergeordnete Rolle in meinem Leben spielte. Die Lehrer wussten nicht so richtig, was sie mit mir anfangen sollten, mit meinen guten Noten auf der einen und meiner beachtlichen Anzahl Fehlstunden auf der anderen Seite. Also ließen sie mir ziemlich viel durchgehen. Unser halb garer Kompromiss sah ungefähr so aus: Ich kam regelmäßig zum Unterricht und sie ließen mich machen, was ich wollte, solange ich die anderen Schüler nicht ablenkte.
    Folgerichtig loggte ich mich im Informatikkurs als Erstes brav in meinen Computer ein, nur um dann – so gar nicht brav – die Bücher hervorzukramen, die ich morgens gekauft hatte. Eins davon war ein bebildertes Lexikon der Erkrankungen, ein dicker, staubig riechender Wälzer von 1986. Das Teil war vermutlich eins der ersten Bücher, die der Buchladen ins Sortiment genommen hatte. Während Mr Grant erklärte, was wir machen sollten, blätterte ich darin herum und suchte nach den fiesesten Bildern. Ich fand einen Mann mit Porphyrie, jemanden mit seborrhoischer Dermatitis und ein Bild von Spulwürmern in voller Action, bei dem sich mir der Magen umdrehte – was mich ehrlich gesagt ziemlich überraschte.
    Dann blätterte ich zu M. Ich fuhr mit dem Finger die Seite hinunter, bis er bei »Meningitis, bakterielle« anlangte. Ich fühlte ein Brennen in der Nase, als ich den Eintrag las. Ursachen. Symptome. Diagnose. Behandlung. Prognose. Sterblichkeitsrate bei unbehandelter bakterieller Meningitis: hundert Prozent. Sterblichkeitsrate, wenn behandelt: zehn bis dreißig Prozent.
    Ich hätte gar nicht nachschlagen müssen, ich kannte die Statistiken. Ich hätte diesen Eintrag ohne Überlegen auswendig herunterbeten können. Ich wusste sogar mehr als dieses Lexikon der Erkrankungen von 1986, weil ich Tausende von Onlinezeitschriften nach den neuesten Behandlungsmethoden und ungewöhnlichsten Fällen durchsucht hatte.
    Der Drehstuhl neben mir knarrte, als sich jemand daraufsetzte. Sie rollte zu mir herüber, doch ich sah gar nicht erst auf. Grace benutzte immer dasselbe Parfüm. Obwohl – wie ich sie kannte, war es einfach bloß ihr Shampoo.
    »Isabel«, sagte Grace leise. Die anderen, die schon an der Aufgabe saßen, hatten jetzt auch angefangen zu quatschen. »Das ist jetzt aber echt mal morbid, sogar für deine Verhältnisse.«
    »Geht dich das was an?«, fauchte ich.
    »Du brauchst ’ne Therapie.« Aber das sagte sie ohne Nachdruck.
    »Was meinst du, was das hier sein soll?« Ich deutete auf das Buch und sah zu ihr hoch. »Ich will einfach nur rausfinden, was genau bei Meningitis passiert. Das ist ja wohl nicht morbid. Dich interessiert’s doch schließlich auch, was mit Sam los war.«
    Grace zuckte mit den Schultern und drehte sich mit ihrem Stuhl hin und her. Ihr dunkelblondes Haar fiel ihr über die geröteten Wangen, als sie den Blick zum Boden senkte. Sie wirkte unruhig. »Das ist jetzt vorbei.«
    »Na klar«, höhnte ich.
    »Wenn du zickig sein willst, bleib ich nicht neben dir sitzen«, drohte Grace. »Mir geht’s eh nicht so gut. Ich würde am liebsten nach Hause gehen.«
    »Ich hab doch gar nichts gesagt«, entgegnete ich. »Zickig, also echt. Glaub mir, wenn du mich mal richtig –«
    »Meine Damen?« Mr Grant stand plötzlich neben mir und warf einen Blick auf meinen leeren Bildschirm, dann auf den von Grace, der noch nicht mal eingeschaltet war. »Ich weiß ja nicht, wie das mit euch ist, aber ich hätte schwören können, dass wir hier im Informatikkurs sind
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