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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht
Autoren: Maggie Stiefvater
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hier.«
    »Das hätte ich auch nicht erwartet«, entgegnete ich und deutete in eine Ecke des Ladens. »Aber mir ist so schnell einfach nichts eingefallen, was du hier wollen könntest.«
    Isabel ließ sich von ihrem Hocker gleiten und ging in die Richtung, in die ich gedeutet hatte. »Ich bin hier, weil Wikipedia mich mal wieder im Stich gelassen hat.«
    »Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, was man im Internet nicht findet«, sagte ich und das Atmen fiel mir wieder leichter, jetzt, nachdem Isabel aufgestanden war. Ich nahm eine Rechnungskopie und fing an, sie zu einem Papiervogel zu falten.
    »Du musst es ja wissen«, erwiderte Isabel. »Schließlich warst du mal das Märchenwesen.«
    Ich zog eine Grimasse und faltete weiter meinen Vogel. Der Strichcode der Rechnung zeichnete ein gleichmäßiges Muster auf einen der Flügel, wodurch der andere zu groß wirkte. Ich nahm einen Stift und wollte auch den zweiten Flügel mit Streifen versehen, damit der Vogel perfekt war, überlegte es mir dann aber anders. »Wonach suchst du eigentlich? Richtige medizinische Fachliteratur haben wir nicht viel. Nur so Ganzheits- und Selbsthilfekram.«
    Isabel, die mittlerweile vor dem Regal kniete, meinte: »Keine Ahnung. Das weiß ich erst, wenn ich’s sehe. Wie heißt denn dieser Wälzer noch mal? Wo alles drinsteht, was bei einem Menschen so schieflaufen kann?«
    »Candide« ,sagte ich, doch es war niemand im Laden, der meinen Witz verstanden hätte, darum schlug ich nach einer Weile vor: »Meinst du vielleicht den Pschyrembel?«
    »Ja, genau.«
    »Den haben wir nicht da. Aber ich kann ihn dir bestellen.« Ich musste gar nicht erst im Bestand nachsehen, um zu wissen, dass ich recht hatte. »Neu ist der nicht ganz billig, aber ich kann versuchen, ihn irgendwo gebraucht zu finden.« Ich zog meinem Papierkranich einen Faden durch den Rücken und kletterte auf die Theke, um ihn an die Decke zu hängen. »Aber ist das nicht vielleicht ein bisschen übertrieben? Ich meine, es sei denn, du hast beschlossen, Ärztin zu werden.«
    »Ich hab drüber nachgedacht«, erwiderte Isabel so spitz, dass mir erst klar wurde, was sie mir da gerade anvertraut hatte, als mit einem Pling die Ladentür aufschwang und ein weiterer Kunde hereinkam.
    »Ich bin in einer Sekunde bei Ihnen«, rief ich über die Schulter und stellte mich auf die Zehenspitzen, um den Faden an der Lampenfassung unter der Decke zu befestigen. »Sagen Sie einfach Bescheid, wenn Sie Hilfe brauchen.«
    Es herrschte nur ungefähr einen Herzschlag lang Stille, doch Isabels Schweigen war so vielsagend, dass es mir ins Gesicht zu schreien schien. Zögernd ließ ich die Arme sinken.
    »Nur keine Eile«, sagte der neue Kunde ausnehmend höflich. »Ich warte so lange.«
    Beim Klang seiner Stimme verging mir das zuvorkommende Lächeln und ich drehte mich um. Vor dem Tresen stand ein Polizist und sah zu mir hoch. Von meinem Aussichtspunkt konnte ich die volle Polizistenausstattung an seinem Gürtel sehen: Pistole, Funkgerät, Pfefferspray, Handschellen, Handy.
    Wenn du Geheimnisse hast, auch wenn es keine von der illegalen Sorte sind, kann es dich ganz schön aus der Bahn werfen, wenn plötzlich ein Polizist an deinem Arbeitsplatz auftaucht.
    Langsam kletterte ich vom Tresen und sagte mit einer halbherzigen Geste in Richtung meines Papiervogels: »Ist sowieso nicht so gut geworden. Kann ich … Ihnen irgendwie weiterhelfen?« Ich zögerte bei dieser Frage, denn ich wusste nur zu gut, dass er nicht hier war, um mit mir über Bücher zu reden. Das Herz schlug mir bis zum Hals, schnell und heftig. Isabel war nirgends mehr zu sehen, der Laden wirkte verlassen.
    »Wenn Sie im Augenblick nicht zu viel zu tun haben, würde ich Sie gerne kurz sprechen«, informierte der Polizist mich höflich. »Sie sind doch Samuel Roth, oder?«
    Ich nickte.
    »Ich bin Officer Koenig«, fuhr er fort. »Ich ermittle im Fall Olivia Marx.«
    Olivia. Mein Magen zog sich zusammen. Olivia, eine von Grace’ engsten Freundinnen, war letztes Jahr gebissen worden und hatte die vergangenen paar Monate als Wölfin im Boundary Wood verbracht. Ihre Familie dachte noch immer, sie sei von zu Hause weggelaufen.
    Warum war bloß Grace nicht hier? Wenn Lügen eine olympische Disziplin gewesen wäre, hätte Grace alle Rekorde gebrochen. Für jemanden, der in der Schule kreatives Schreiben hasste, war sie eine sagenhafte Geschichtenerzählerin.
    »Oh«, sagte ich. »Olivia.«
    Es machte mich nervös, dass dieser Polizist hier
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