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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht
Autoren: Maggie Stiefvater
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Erste hatte ihre Selbstbezogenheit eben auch ihre guten Seiten.
    »Okay«, sagte Dad jetzt. Es klang beinahe anerkennend, so als wollte er mich dafür loben, dass ich alleine war und meine Hausaufgaben machte. Das war es nun mal, was eine Grace abends machte, und Gott bewahre, dass ich aus dieser Schublade herauskletterte. »Dann machst du dir also einen ruhigen Abend?«
    Ich hörte, wie die Tür aufging, und dann Sams Schritte im Flur. »Ja«, antwortete ich, als er mit dem Gitarrenkoffer in der Hand an der Küchentür vorbeiging.
    »Gut. Tja dann, bis später«, sagte Dad. »Lern noch schön.«
    Wir legten gleichzeitig auf. Ich sah Sam zu, der wortlos seinen Mantel auszog und direkt aufs Arbeitszimmer zusteuerte.
    »Tag, der Herr«, begrüßte ich ihn grinsend, als er mit der nun vom Koffer befreiten Gitarre wieder auftauchte. Er lächelte mich an, aber seine Augen wirkten müde. »Du wirkst gestresst.«
    Er ging ins Wohnzimmer, plumpste aufs Sofa und ließ, halb sitzend, halb liegend, einen dissonanten Akkord erklingen. »Isabel war heute bei mir im Laden«, erzählte er.
    »Ach? Was wollte sie denn?«
    »Nur ein paar Bücher kaufen. Und mir erzählen, dass sie Wölfe bei ihrem Haus gesehen hat.«
    Sofort wanderten meine Gedanken zu Isabels Vater und der Wolfsjagd, die er damals im Wald hinter unserem Grundstück angezettelt hatte. Aus Sams besorgtem Gesichtsausdruck schloss ich, dass er dasselbe dachte wie ich. »Das ist aber nicht gut.«
    »Nein«, sagte er. Seine Finger huschten über die Gitarrensaiten, mühelos und offenbar rein instinktiv schlug er einen wunderschönen Mollakkord an. »Aber so richtig spannend wurde es erst, als auch noch dieser Polizist reingeschneit kam.«
    Ich legte den Bleistift weg und beugte mich über den Tisch. »Was? Was wollte der denn?«
    Er zögerte. »Mich über Olivia aushorchen. Er hat gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, dass sie im Wald lebt.«
    »Was?«, fragte ich wieder. Meine Haut kribbelte. Auf so was kam man nicht einfach von selbst. Auf keinen Fall. »Woher hat er das denn?«
    »Er meinte natürlich nicht, dass sie ein Wolf ist. Aber ich glaube, er hat gehofft, dass wir sie vielleicht nur verstecken oder dass sie irgendwo in der Nähe lebt und wir ihr helfen oder so was. Ich hab gesagt, dass sie meiner Meinung nach nicht unbedingt der Campingtyp ist, und dann hat er sich bedankt und ist gegangen.«
    »Wow.« Nachdenklich lehnte ich mich zurück. Eigentlich war das einzig Überraschende an dem Ganzen, dass sie Sam noch nicht eher befragt hatten. Mit mir hatten sie schon ziemlich bald geredet, nachdem Olivia »weggelaufen« war. Wahrscheinlich waren sie erst jetzt auf die Verbindung zwischen Sam und mir gestoßen. Ich zuckte mit den Schultern. »Die wollen ihre Arbeit eben gründlich machen. Ich glaube nicht, dass das was zu bedeuten hat. Ich meine, früher oder später kommt sie ja sowieso wieder, stimmt’s? Was meinst du, wie lange es noch dauert, bis die neuen Wölfe sich wieder in Menschen zurückverwandeln?«
    Sam antwortete nicht sofort. »Zuerst werden sie nicht lange Menschen bleiben, am Anfang sind sie extrem instabil. Es kommt darauf an, wie warm es gerade ist. Und außerdem variiert es von Mensch zu Mensch, manchmal sogar ziemlich stark. So wie es Tage gibt, an denen manche Leute Pullis tragen, während anderen ein T-Shirt reicht – einfach unterschiedliche Reaktionen auf dieselbe Temperatur. Aber es kann durchaus sein, dass ein paar von ihnen sich dieses Jahr schon mal verwandelt haben.«
    Ich stellte mir Olivia vor, wie sie als Wolf durch den Wald preschte, und versuchte mich dann wieder auf das zu konzentrieren, was Sam gesagt hatte. »Wirklich? Jetzt schon? Also könnte es sein, dass jemand Olivia gesehen hat?«
    Sam schüttelte den Kopf. »Bei diesem Wetter hat sie bestimmt nicht mehr als ein paar Minuten als Mensch – ich bezweifle, dass sie da gleich jemand gesehen hat. Das ist eher … so was wie ein Testlauf für später.« Und an dieser Stelle war es plötzlich, als hätte ich ihn verloren; sein Blick schien in die Ferne zu schweifen. Vielleicht erinnerte er sich daran, wie es damals für ihn gewesen war, als neuer Wolf. Unwillkürlich zuckte ich zusammen; über Sam und seine Eltern nachzudenken, machte mich immer ganz unglücklich. Eine grimmige Kälte verkrampfte mir den Magen.
    Schließlich fing Sam wieder an, Gitarre zu spielen. Eine ganze Weile ließ er die Finger einfach nur die Akkorde rauf- und runterwandern, und als mir klar wurde,
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