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Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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hinübergefahren zur OceanScout , dann kletterten sie an Bord. Carima fragte sich, ob sie überhaupt noch Worte füreinander finden konnten. Ob es alles noch schlimmer machen würde, dass diese beiden Menschen, Nathalie und Wolfgang Willberg, jetzt hier waren.
    Als Erstes umarmte Carima ihren Vater – und merkte, dass sie sich wirklich freute, ihn zu sehen. »Du bist hergeflogen! Aber … was macht Hannah jetzt ohne dich?«
    »Rudert und klettert eben ein bisschen alleine«, sagte ihr Vater, lächelte und drückte sie an sich. »Ich bin so froh, dass du in Ordnung bist. Als deine Mutter mich angerufen hat, habe ich das Schlimmste befürchtet.«
    Die verkniffene Miene ihrer Mutter ließ nichts Gutes erwarten. »Carima, kannst du mir bitte mal erklären, was du …«
    Kälte durchzog Carimas ganzen Körper, lähmte ihre Lippen. Dort in der Tiefe kämpfte Leon um sein Leben, keine Sekunde lang konnte sie das vergessen, und sie hatte nicht die Kraft, sich jetzt auch noch mit ihrer Mutter zu streiten. Aber sie musste alles, was geschehen war, irgendwie erklären, es zumindest versuchen.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Billie und Julian sich taktvoll in die Kajüte der OceanScout zurückzogen.
    Als ihre Mutter ausgeredet hatte, atmete Carima tief durch und blickte ihr in die Augen. »Es tut mir leid, dass ich den Wagen nehmen musste. Aber es ging nicht anders. Erinnerst du dich noch an Leon Redway? Wir haben ihn unten auf der Station kennengelernt. Einer der jungen Taucher.«
    Ihre Mutter öffnete den Mund, schloss ihn wieder, nickte einfach nur.
    Kurz und nüchtern erklärte Carima, weswegen Leon geflohen war und was er über die ARAC herausgefunden hatte. »Ich habe ihm bei der Flucht geholfen, weil ich ihn auf keinen Fall im Stich lassen wollte. Bestraft mich meinetwegen deswegen, wenn ihr es für richtig haltet. Aber fragt euch vielleicht vorher einmal, was ihr in dieser Situation getan hättet.«
    Schweigend blickten Carima und ihre Mutter sich an, und Carima kam es so vor, als habe ihre Mutter sie noch nie zuvor so angesehen. Ohne Ärger, ohne Urteil. Ein bisschen staunend. Wie eine Erwachsene, die sie eben erst kennengelernt hatte.
    »Ich glaube, ich hätte das Gleiche getan wie du«, sagte Nathalie Willberg schließlich ruhig. »Zumindest hoffe ich, dass ich den Mut dazu gehabt hätte.«
    Carima erwiderte ihren Blick gerade und offen – und spürte, wie die Wut aus ihr wich, diese Wut, die schon so lange in ihr nagte und fraß. Auf einmal war es leicht, sie loszulassen. Jetzt und vielleicht für immer.
    Es gab so viele Dinge, die wichtiger waren.
    »Wenigstens ist das Wasser lauwarm, sonst hätten wir jetzt schon ein paar erfrorene Zehen«, sagte Tim und Leon nickte. Er ließ den Lichtstrahl der Taschenlampe über das tote Bedienpult an den Seiten des Cockpits spielen, richtete ihn dann nach unten, auf das Wasser, das um ihre Knie schwappte. Es schimmerte grau-gelblich im Licht; die typische Schwermetallsuppe der hawaiianischen Schwarzen Raucher – durch glühend flüssiges Gestein tief unter dem Meeresboden erhitzt, durch die Schlote aufgestiegen, dann verdünnt durch das eisige Wasser der Tiefsee.
    Kleine Wellen bildeten sich darauf, als die Moray erzitterte. Noch ein Nachbeben – schon das zweite innerhalb kurzer Zeit. Keiner von ihnen wagte zu atmen und Leon schielte unwillkürlich durch die Kuppel nach oben. Das Trümmerstück, das über ihnen hing, hatte sich verschoben. Es sackte ein Stück tiefer … noch ein Stück … und kam zum Stillstand. Ein großer, dunkler Körper hatte sich daruntergeschoben, hebelte das schwere Metallteil beiseite wie einen Zahnstocher. Ungläubig starrten Leon und Tim nach draußen und lauschten auf die Geräusche, die ihnen verrieten, wer da draußen war. Was wie ein Zungenschnalzen klang, waren die Laute eines Pottwals, der sich in der Tiefe orientierte.
    »Das ist Shola!«, rief Leon und jetzt sah er auch das schmale, weiß geränderte Maul des Pottwals, nur wenige Meter von ihnen entfernt. Sholas Kopf näherte sich ihnen, schien kaum eine Armlänge entfernt, dann bebte die Moray wieder. Doch diesmal war es nicht die Erde selbst, die sie durchschüttelte. Shola hatte sie seitlich gerammt, schob sie mit der breiten, eckigen Stirn an.
    »Sie versucht uns irgendwie freizukriegen«, murmelte Tim und beobachtete konzentriert, was das junge Pottwalweibchen tat. »Vielleicht schafft sie es, sie ist schließlich schon fast ausgewachsen und stärker, als wir uns vorstellen
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