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Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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einer von denen, die er bei Ellyn gesehen hatte; primitiv, aber benutzbar. »Moment mal – der sieht aus, als könnte er dir passen!« Leon schrie es fast. »Du musst es versuchen, vielleicht klappt es!«
    »Leon …«
    »Wir sind zwar sehr tief, aber Lucy und ich, vielleicht könnten wir dich mitziehen, und dann –«
    »Leon! Stopp. Hör auf.« Auf einmal wirkte Tim unendlich erschöpft. Er ließ sich auf den überfluteten Pilotensitz der Moray nieder und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich bin zu alt. Sosehr ich es mir auch gerade wünsche, ich kann keine Flüssigkeit mehr atmen. Und außerdem reicht das Fluo in dem Kanister da nicht für zwei Leute.«
    Sie blickten sich an, und Leon wusste, dass er recht hatte. Für Tim war dies das Ende.
    »Leon, hör zu: In meiner Wohnung in San Francisco, ganz oben im rechten Wandschrank, findest du etwas, das ich dir längst hätte geben sollen.« Tims Stimme klang gepresst. »Dein Vater hat auf seinem Laptop so eine Art privates Tagebuch über seine Arbeit geführt und dabei auch seine Auseinandersetzungen mit der ARAC dokumentiert. Darin findest du genügend Material, um gegen den Konzern vorzugehen.«
    Leon nickte, er brachte kein Wort heraus.
    »Los, mach dich bereit«, sagte Tim sanft, und blind vor Tränen tastete Leon nach seiner OxySkin, drückte, so gut es ging, das Wasser heraus, schlüpfte hinein und versiegelte die Naht. Mit zitternden Fingern schloss er den Werkzeuggürtel um seine Hüfte, befestigte das halb kaputte DivePad an seinem Handgelenk, verabreichte sich das Spray. Als er endlich mit allen Vorbereitungen fertig war, ging ihnen das Wasser schon bis zur Brust.
    Lange umarmten sie sich. Dann sagte Tim: »Los jetzt, Löwenjunge. Zeig’s allen, dass du es schaffen kannst, im Wasser und an Land, okay? Und versprich mir, dass du deinem Mädchen sagst, was sie dir bedeutet.«
    »Okay«, flüsterte Leon, dann schloss er den Anzug über seinem Gesicht, fühlte, wie das Perfluorcarbon ihn umströmte. Nahm seinen ersten Atemzug. Kletterte hoch in die schmale Taucherschleuse der Moray .
    Tim schloss die untere Klappe der Schleuse nicht, und Leon ahnte, warum. So würde es schneller gehen.
    Mit voller Wucht drängte sich der Ozean in die Schleuse des Tauchboots, strömte hinunter ins Cockpit. Und obwohl es sich anfühlte wie das Ende der Welt, schwamm Leon mit Lucy an seiner Seite, so schnell er konnte, nach oben, immer weiter nach oben, dem endlosen Blau des Himmels entgegen.

Epilog
    Die kleine Shelley wollte eine Kette aus Blumen flechten, aber das war ganz schön schwierig, und die Kette fiel immer wieder auseinander. Mist!
    Sie warf sich ins Gras und legte sich ganz platt hin, sodass die Grashalme sie in der Nase kitzelten und ein Käfer, der gerade einen Halm hochkletterte, so groß aussah wie ein Gürteltier.
    »Shelley, dein Besuch ist da!«, rief ihre Mutter von der Veranda. »Es ist dieser Junge aus der Zeitung und aus dem Fernsehen, der gestern angerufen hat!«
    Neugierig sprang Shelley auf. Der Junge war groß, sogar größer als Jamie von nebenan, der den ganzen Tag Basketball spielte und ständig durch Papas Blumenbeete trampelte, um seinen Ball zurückzuholen. Doch dieser Junge sah viel netter aus als Jamie.
    »Wollt ihr Limo? Oder einen Eistee? Wartet, ich hole euch ein paar Kekse«, sagte ihre Mama und ging eilig zum Haus zurück. Erstaunt und begeistert schaute Shelley ihr hinterher. Kekse? An einem ganz gewöhnlichen Tag?
    Der Junge setzte sich auf den Boden neben sie, streckte eine Hand aus und ließ den Käfer von dem Grashalm auf seinen Zeigefinger krabbeln. »Geht’s dir wieder gut? Ich habe gehört, du warst ziemlich lange im Krankenhaus, weil du fast ertrunken wärst.«
    »Ja, ich hatte eine Lungenentzündung dadurch, aber jetzt bin ich wieder gesund und darf bald zurück in den Kindergarten, hat Mama gesagt«, meinte Shelley stolz. Sie wunderte sich ein bisschen, woher der Junge das alles wusste, aber eigentlich war ihr das nicht so wichtig, weil sie jetzt dringend das Holzkästchen mit den Muscheln durchwühlen musste, das er ihr mitgebracht hatte. Es waren vor allem weiße und braune darin, aber auch ein paar in Rosa. »Die sind toll! Wo hast du die her?«
    »Beim Tauchen gesammelt«, sagte er. »Normalerweise nehme ich nichts aus dem Meer mit, aber für dich habe ich eine Ausnahme gemacht. Ein paar hat auch meine Krake Lucy gefunden.«
    »Iiih, ich mag keine Kraken!«, quiekte Shelley. »Die haben so viele Arme.«
    Der Junge
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