Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rueckkehr nach Glenmara

Titel: Rueckkehr nach Glenmara
Autoren: Heather Barbieri Sonja Hauser
Vom Netzwerk:
empfinden.«
    »Dieser Ort mit seiner Musik hat etwas an sich …«
    »Wie lange sind Sie schon hier?«, fragte er.
    »Ungefähr drei Wochen. Ich weiß nicht einmal mehr, welcher Tag heute ist. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.«
    »Das kann durchaus etwas Gutes sein«, tröstete er sie. »Aber falls es Sie interessiert: Heute ist der erste Mai.«
    »Schon?« Sie schob ihren Rucksack mit dem Fuß unter den Sitz. Viel war nicht darin: Kleidung und Toilettenartikel, ein Skizzenblock und Stifte; eine Digitalkamera voller Aufnahmen, die sie von sich mit dem Selbstauslöser vor Sehenswürdigkeiten gemacht hatte, vor dem Eingang zum Grabhügel von Newgrange etwa oder vor dem Blarney Stone. Ein Tag hier, ein Tag dort, zu allen Touristenattraktionen von Mittel- und Südostirland, mit dem Bus und zu Fuß, jeden Morgen mit der Aussicht auf ein neues Abenteuer.
    Ihr wertvollster Besitz war der goldene Fingerhut ihrer Mutter Tallulah. Diese hatte einst einen Goldschmied gebeten, eine kleine Schlaufe ans obere Ende zu löten, damit man ihn wie einen Talisman an einem schmalen Band tragen konnte. Als Baby hatte Kate beim Baden damit gespielt, jetzt hing er an einer Kette um ihren Hals.
    »Die Menschen lassen sich von der Uhr versklaven. Sind Sie in Urlaub?«, erkundigte sich der Reisende.
    »Ja, und auf der Suche nach Inspirationen.«

    »Ich hatte mir schon gedacht, dass Sie Künstlerin sein könnten.«
    »Was hat mich verraten?«
    »Ihre Hände.«
    Sie betrachtete ihre Finger, bevor sie sie in die Taschen schob. »Ein besonders gutes Handmodell würde ich nicht abgeben, was?«
    »Brauchen Sie ja auch nicht. Es sind hübsche Hände, klein und zupackend, mit einer Schwiele hier und da, damit die Leute wissen, dass sie etwas wegschaffen.«
    »Früher mal, ja.«
    Der Reisende reichte ihr ein Taschentuch. »Vielleicht wollen Sie sich das Gesicht abtrocknen, auch wenn’s nicht so aussieht, als würd’s bald zu regnen aufhören.« Er schwieg eine Weile, weil er ihr Zögern spürte. »Sie sind zu jung, um sich von einer Enttäuschung entmutigen zu lassen. Irgendwann kommt die Freude zurück, und dann wird alles umso schöner. Liebe ist Leben, wissen Sie.«
    Ethan hatte ihr diese Weisheit bei der Vorbereitung auf eine Prüfung vorgelesen. »Tolstoi«, sagte sie mit leiser Stimme.
    »Ja, sinngemäß.« Der Reisende hielt während des Gesprächs den Blick auf die Straße gerichtet; trotzdem hatte sie das Gefühl, als könnte er tief in ihr Herz blicken.
    »Sie beschäftigen sich also mit Büchern … und Menschen?«, fragte sie.
    »Ich mag gute Geschichten.«
    »Der Wagen sieht aus wie eine Wanderbücherei.« Sie deutete auf die Stapel von Büchern unter der Segeltuchplane, gebundene Ausgaben, Paperbacks, alle zerlesen:
O’Brien, Trevor, Banville, Joyce, Doyle, Beckett, Pynchon und andere.
    »Ich habe Zeit fürs Lesen. Es schärft den Verstand.«
    »Ich liebe die Romane von Edna O’Brien, besonders die Country-Girls-Trilogie.«
    »Natürlich. Und wie sieht’s mit Joyce aus?«
    »Ja, aber meine Mutter war wohl sein größter Fan.«
    »Sie muss eine tolle Frau sein. Nicht viele sind bereit, sich auf ihn einzulassen.«
    »Ja.« Sie betrachtete die Landschaft, versuchte, sie mit den Augen ihrer Mutter zu sehen, die Farben satt glänzend wie bei einem Ölgemälde, der Himmel dunkelgrau über den Feldern mit Fingerhut, Lupinen und wilden Narzissen, dazu samtiges Moos und in der kurz durchbrechenden Sonne grün-golden leuchtende Grasbüschel. Da vertrieb der Regen das Licht, und sie begann sofort wieder zu frieren.
    Sie fuhren eine ganze Weile schweigend dahin. Kate lauschte dem Prasseln des Regens auf Plane und Hut des Reisenden, dem Klappern der Pferdehufe, dem Klirren von Zügeln und Zaumzeug, dem Knarren der Räder, dem Säuseln des Windes im Gras. »Ich komme mir vor, als wäre ich in die Vergangenheit gereist«, bemerkte sie schließlich.
    »Ja, dies ist ein magischer Ort. Deshalb kehre ich immer wieder hierher zurück.«
    »Womit verdienen Sie sich Ihren Lebensunterhalt?«
    »Sie meinen, außer mit meinen amateurphilosophischen Studien? Damit lässt sich jedenfalls kein Geld machen.« Er lachte. »Ich schlage mich mit Reparaturen durch. Es gibt immer irgendetwas zu richten.«

    So holperten sie stundenlang auf einer kleinen Straße dahin, auf der Farmer, Soldaten, Pilger und Überlebende der großen Hungersnot bereits vor ihnen gereist waren.
    Kate döste ein und träumte von Ethan. In ihrem Traum ging er Hand in Hand mit einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher