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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad
Autoren: Philippe Djian
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wußte nicht, was das zu sagen hatte, ob mich nun Trauer oder Freude durchdrang.
     
    Ich wurde ein wenig nervös, als sie mich baten, ihn ausprobieren zu dürfen, aber ich gab ihnen den Schlüssel. Elsie war noch oben, aber nur um den Block, sagte ich. Gladys stieg hinten ein, Hermann und Richard strichen mit verblüffter Miene noch einmal um ihn herum, und dann sausten sie zu dritt los, während ich besorgt die Ohren spitzte (Getriebe ZF , deutscher Herkunft, feinfühlig zu handhaben).
    Als Elsie im Garten auftauchte, begrüßte ich sie fröhlich, ich stürzte auf sie zu, um sie sogleich in die Arme zu schließen, und obwohl sie sich ein wenig steif machte, küßte ich sie auf den Hals, und ich fragte sie, ob sie das auch höre, dieses Motorengeräusch in der Ferne, ob sie eine Ahnung habe, was das sein könnte …? Ich schien unser nächtliches Gespräch tatsächlich vergessen zu haben. Ich schnitt drollige Fratzen und preßte sie an mich, ich schleppte sie auf den Bürgersteig, als das Geräusch näherkam.
    - Also nein, Dan, was …
    - Guck doch!
    400 Meter aus dem Stand in unter sechzehn Sekunden. Mein ganzer Kummer verflog, als ich ihn kommen sah, ein Blitz puren Glücks aus azurblauem Himmel, der vor unseren Füßen landete. Ich linste Elsie aus dem Augenwinkel an. Nicht daß ich hoffte, so billig davonzukommen, aber gegen ein simples Lächeln hätte ich nichts eingewendet.
    Schließlich ließ sie sich von der Begeisterung der ändern anstecken, eine leise Andeutung von dem, was ich erwartete, erschien auf ihrem Gesicht. Ich faßte sie an der Hand und ließ sie einsteigen, dann beugte ich mich vor, um ihre Lippen zu erreichen. Ich spürte zwar, daß das nicht das Wahre war, aber ich drängte sie nicht, ich sagte mir, es hätte schlimmer sein können. Ich trat zur Seite, damit sie aussteigen konnte, und ich blickte ihr nach, während ich Richard erklärte, daß die Stoßdämpfer vom Armaturenbrett aus regulierbar waren (Armstrong Selectande).
    - Was hat sie denn …?! fragte mich Hermann.
    Seit ungefähr achtundvierzig Stunden, seit er mir das Datum seiner Abreise mitgeteilt hatte – das heißt, ihrer Abreise, denn Gladys und Richard waren mit von der Partie – , zuckte ich beinahe zusammen, wenn er mich ansprach, und ich starrte ihn an, ohne daß ich in den nächsten zwei, drei Sekunden den Mund aufbekam.
    - Mmm, das ist schwer zu sagen …
    Mir war lieber, wir waren allein, wenn ich je mit ihm darüber sprechen sollte, wenn das je zu etwas gut war.
    Ich war in einem fort in Bewegung, seit er angefangen hatte, seine Sachen zu ordnen, es war mir unmöglich, länger als fünf Minuten ruhig sitzen zu bleiben oder mich auf irgend etwas zu konzentrieren. Ich räumte meine Bibliothek aus. Zusammen mit Elsie und Gladys versuchte er ein wenig Ordnung in all diese Jahre zu bringen, und im Flur stand ein großer Koffer, es gab Dinge, die er mitnahm. Ich konnte ihm dabei nicht helfen, ich verstand nichts davon. Von Zeit zu Zeit tanzte ich jedoch mit einem Stapel Bücher an, und kaum hatte Gladys den Rücken gekehrt, nutzte ich die Gelegenheit, sie in den Koffer zu stopfen, denn wenn sie mich erwischte, konnte ich mich auf einen Nahkampf gefaßt machen – Faulkner war noch mit einem blauen Auge davongekommen, aber ich war mitten in der Nacht aufgestanden und hatte es geschafft, Conrad und Melville anstelle eines Paars Stiefel zu verstauen –, unsere Auffassungen, was unentbehrlich sei, gingen ein wenig auseinander, aber immerhin war ich sein Vater, ich war fünfundvierzig Jahre alt, Miller, Hemingway, Kerouac, das I-Ging sowie die drei, die ich in letzter Minute gerettet hatte, das war nun doch das Allernotwendigste, alles, was recht ist …!
    Das Haus blutete langsam aus, nicht mehr und nicht weniger, aber das war kein gewaltsamer Tod. Die Erinnerungen stiegen auf, eine nach der anderen, und schwebten den ganzen Tag durch den Raum, alte Phantome, dem süßen Schlummer der Unachtsamkeit entrissen und unfähig, den Weg des Vergessens zu finden, leise stöhnend wanden sie sich in meinen Ohren, drängelten sie einander vor meinen Augen. Ich verbrachte meine Zeit damit, ergebnislos Fenster und Türen aufzureißen. Ich tigerte von einem Zimmer ins andere, und ständig beklagten sie sich – wenigstens Hermann war voller Verständnis für meine Ungeschicklichkeit –, ich würde ihnen nur zwischen den Beinen herumtanzen. Der Garten war der einzige Ort, an dem ich mich nicht unerwünscht fühlte. Wenn ich sie auch nicht sah,
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