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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad
Autoren: Philippe Djian
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waren, ohne mich hätten sie sich gleich zum Teufel geschert. Kurz und gut, es war ständig jemand im Haus. So daß ich mitunter stutzte, wenn es auf einmal still wurde, und neugierig hinunterging, um zu sehen, was eigentlich los war, ich warf sogar einen Blick in den Garten, ob das vielleicht ein Witz sein sollte.
    Dann kehrte ich vor meinen Bildschirm zurück, die Haare standen mir fast zu Berge wegen all dem Zeug, das mir Gladys zu schlucken gab, und ich war leicht verstimmt, daß das Haus leer war. Sicher, ich brauchte Ruhe, und ich wollte nicht, daß man mein Zimmer ohne gewichtige Gründe betrat – Elsie hatte eine Art Nonstop-Passierschein, ich wollte nicht noch einmal den gleichen Fehler machen wie mit Franck –, aber deshalb wünschte ich mir nicht gleich die intergalaktische Wüste, darauf legte ich wirklich keinen Wert. Es gefiel mir, in der Stille meines Zimmers die Ohren zu spitzen und einige undeutliche Gesprächsfetzen aufzuschnappen oder irgendein anderes Lebenszeichen, doch, das kam mir zupaß.
    Ich war nicht mehr der rasende Urian, der bescheuerte Dämon, der aus der Hüfte von Moby Dick hervorgegangen war, der entrückte, nach Ruhe und Einsamkeit gierende Schriftsteller, den Franck all diese Jahre – ich fragte mich, wie – hatte ertragen müssen. Diese Erkenntnis war mir nicht ganz neu, aber der Umstand, daß ich mich in einer ähnlichen Situation wiederfand – obwohl man die Literatur und ihren Schatten nicht vergleichen kann –, öffnete mir endgültig die Augen. Jetzt erst wurde mir wirklich bewußt, daß ich mich befreit hatte, und ich begriff, daß ich mir dessen bislang niemals sicher gewesen war. Es war ein köstlicher Moment für mich, als mir vergnügt, gleichsam vom Hölzchen aufs Stöckchen, der Gedanke kam, daß sich die Literatur vielleicht mit einem Menschen anstelle eines schwärmerischen Sklaven zufriedengeben werde und daß ich mich durchaus wieder daransetzen konnte, falls mich irgendwann die Lust überkam. Und so frohlocke ich innerlich, ganz für mich, im Herzen jenes aufgewühlten Atlantiks meines Wesens, in einer stummen Ruhe, während die unheilvollen Planeten unablässig um mich kreisen, ohne jene tiefe und traute Stelle zu berühren, wo der Funken meiner Freude schwimmt.
    Aus purer Bosheit hatte ich Paul diese Möglichkeit gesteckt, eines schönen Morgens, und er wäre fast vom Stuhl gepurzelt.
    - Beruhig dich …. ich hab nur gesagt, das könnte passieren. Noch bin ich nicht in der Stimmung …
    Ich war gekommen, um ihm das Drehbuch zu Außer Alaska vorbeizubringen (im großen und ganzen die Geschichte eines Jungen, der seinen Vater sucht, aber nur sehr wenige Anhaltspunkte hat), doch unsere Unterhaltung war abgeschweift.
    - Meine Güte, Dan … Das wäre mein sehnlichster Wunsch …!
    Ich hatte ihm geantwortet, meiner beschränke sich auf den Erfolg des Films und nichts anderes. Er hatte die Finger verschränkt. Daraufhin war ich ans Fenster getreten, und während draußen der Schnee fiel und die Straßen verschwinden ließ, hatte ich gemurmelt:
    - Allmächtiger Gott, schau auf mich herab, verlasse mich diesmal nicht, ich brauche Dich …
     
    Ich stand lautlos auf. Ich betrachtete sie, während ich mich ankleidete, innerlich noch aufgewühlt nach dem Gespräch, das wir geführt hatten und das uns einen großen Teil der Nacht wachgehalten hatte. Der Körper von Eloise Santa Rosa war ein makelloses Wunder, aber nicht ihn betrachtete ich mit zugeschnürter Kehle, ich betrachtete ihre Seele. Ich blieb einige Minuten auf der Bettkante sitzen, unfähig, mir über mich klarzuwerden, dann stand ich auf und zog die Tür unendlich behutsam zu.
    Ich ging raus in den Garten, um meinen Kaffee zu trinken. Was mir schon länger ins Haus stand, passierte: der Stoff eines meiner Liegestühle gab unter meinem Gewicht nach, und ich spritzte dunkle Sterne auf mein strahlendweißes T-Shirt. Anfang Juli hatte es einige Regengüsse gegeben (Rekordbesuch in den Sälen), denen eine gnadenlose Sonne gefolgt war, die die Altersschwäche meiner Sitzmöbel ausgenutzt und sie bis auf die letzte Faser verbrannt hatte. Ich regte mich nicht auf, ich ging hoch, mich umziehen, und ich beschloß, mich ganz schnell um die Sache zu kümmern, ich klappte sie samt und sonders zusammen und stellte sie auf den Bürgersteig, dabei dachte ich an all die schönen Augenblicke, die sie uns geschenkt hatten und die nun gen Himmel fuhren, während ich ihre sterbliche Hülle auf den Mülleimern stapelte.
    Bernie
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