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Roxelane

Titel: Roxelane
Autoren: Johannes Tralow
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und kämpften an ihren Arbeitsstätten dennoch die Schlachten des Padischah, wie sie immer wieder mit ihren Besten die Macht des Reiches mehrten, das ihnen wohl die Freiheit nahm; sie aber vor dem Schrecken schützte, dem österreichische und persische Provinzen so oft ausgeliefert waren.
    Und während der Habsburger Kaiser trotz aller Goldschätze Perus immer der Schuldner seiner Bankiers blieb, zeigten die Kassen des osmanischen Reichs nie eine Ebbe. Es war Erbe des vorbildlichen Steuer- und Katasterwesens von Byzanz und hatte dies System unter den Defterdaren des Reichs und der Provinzen bis in den entferntesten Winkeln seines Machtbereichs durchgeführt.
    Die Zentralisation von Verwaltung, Lehrstand und Heer legte alle Kräfte in die Hand des immer siegreichen Kaisers.
    Freilich übersah Roxelane keineswegs, daß Soliman wohl den Diwan geordnet, sich selbst aber immer mehr von ihm zurückgezogen hatte. Das hob zwar die kaiserliche Würde, doch zugleich steigerte es die Macht des Großwesirs, der in Wirklichkeit nur noch durch den Harem beschränkt wurde. Auch der Übermut der Janitscharen machte ihr Sorge. Die Kraft dieser geborenen Christen, die dem wahren Glauben und dem Reich dienstbar gemacht worden war, konnte eines Tages, wenn auch nicht dem Glauben, so doch dem Reich von innen gefährlich werden. Und ebenso hatte der wachsende Luxus der Großen so sehr zur Bestechlichkeit geführt, daß ihr Schwiegersohn Rustem ein Jahreseinkommen von zweihunderttausend Dukaten oder zehn Millionen Aspern besaß, das Zehnfache von Ibrahims Jahresgehalt das Fünfzigfache einer gesetzlichen Wesirspension.
    Solange nun Persönlichkeiten wie sie selbst und Soliman herrschten, hatte das geringe Bedeutung. Zumal die vollgesogenen Großen erschienen ihr nur wie Schwämme. Bei der Absetzung, spätestens aber beim Tode drückte der Staat sie wieder aus, indem er die Vermögen einzog.
    Mochten daher auch Schwäche oder Unfähigkeit folgen, das Reich war zu fest gefügt, um daran zu sterben. Und zu Nachbarn hatte es nur so lose Gebilde, wie es die andern Staaten Asiens und Europas waren. In jedem Fall würde es die nächsten Jahrhunderte überdauern. Das war Roxelanes Überzeugung. Aber sie mochte nicht weiter darüber nachdenken. Es machte sie müde.
    Nach ihr und Soliman würden die Kinder kommen. Und falls es keine Einigkeit zwischen den Söhnen geben sollte, würde es Krieg geben oder Mord oder beides. Und bei den Enkeln würde es ebenso sein und immer wieder Kriege und immer wieder Mord.
    Sie hatte das Gefühl, als müsse sie ihre Arme ausbreiten, als müsse sie lenken, behüten, bewahren.
    „Ich muß leben“, seufzte sie und suchte Hilfe bei Soliman, der sich über sie beugte.
    Alles, was nun sein würde, komme aus ihr und Soliman, dachte sie, und ob denn aus so viel Liebe Krieg entstehen könne? Mit körperlicher Pein verfolgten ihre Gedanken sie und ließen sie nicht. Zur Flucht drängte es sie. In die Steppe wünschte sie sich, irgendwohin. Und mit Schmerzen überkam es sie: es gebe kein Zurück, nicht zu den Kosaken und nicht in die mongolische Jurte der türkisdien Vorfahren. Überall niste das Böse beim Guten und das Dumme beim Klugen. So verfälschen Böses und Dummes Güte und Klugheit. Wo bleibt da Gott? fragte sie sich. Mußten die Nähte Seines himmlischen Kleides immer wieder aufgerissen werden? Warum?
    „Laß mich nicht sterben, Soliman“, bat sie, „Ich darf noch nicht sterben!“
    Und Soliman schob seinen Arm unter sie, um sie zu stützen. Und von seinen Tränen wurde sie naß.
    „Du bist mein Leben“, sagte er. „Wenn du von mir gehst, werde ich nichts sein als eine leere Schale.“
    Roxelanes Gedanken blieben. Aber die Angst wich. Sie wurde ruhig in seinen Armen.
    „Weißt du auch, Soliman“, flüsterte sie, „wo der Teufel am stärksten ist?“
    Er wußte es nicht.
    Sie aber sagte es ihm.
    „In Allahs nächster Nähe ist der Teufel am stärksten“, sagte sie, und darum komme aus der Liebe auch das Böse, weil das Böse wie das Gute zum Leben gehöre, zum süßen, unvollkommenen Leben. „Die Vollendung ist der Tod“, schloß sie erschöpft.
    „Du darfst nicht sterben!“ schrie Soliman.
    Und jetzt war er ihr wie ein Kind.
    Sanft streichelte sie seinen unbedeckten Kopf.
    „Ich bin nicht vollendet und werde nicht sterben“, hauchte sie und ließ ihre Hand sinken. Doch noch ein letztes Mal bewegten sich ihre Lippen: „Und ich werde dich ewig lieben“, sagte sie, als sie starb.
    Am dritten April
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