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Roxelane

Titel: Roxelane
Autoren: Johannes Tralow
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rollenden Augen gewöhnt, daß sie fast über die Klarheit und Ruhe erschrak, die ihr nun aus ihnen entgegentraten.
    Es waren Augen von einer großen Müdigkeit, in die sie sah.
    Sie streichelte seine Hände und unterdrückte ein Schluchzen.
    Denn sie wußte, was kommen würde. Zu oft hatte er im Fieber nach Mustafa geschrien, hatte mit ihm gesprochen, gelacht und ihn gegen Schwerter, Kugeln und Stricke verteidigt. Zu oft hatte er auch sie genannt, sie, seine Mutter.
    „Schriebst du dem Vater nicht?“ fragte er nun. „Nicht eine einzige Zeile? Du sagtest es doch.“
    „Dschangi! Mein Dsdiangi...!“
    „Warum ließest du Mustafa sterben, der noch so jung war?“
    „Und bist du nicht jung? Und deine Brüder? Seid ihr nicht alle jünger als er?“
    „Ich liebte ihn so sehr“, war alles, was Dschihangir erwiderte.
    „Und ich liebe dich!“ sagte Roxelane. „Und ich liebe auch Selim und Bajesid. Ihr seid meine Kinder. Was könnte ich tun, daß ich euch nicht liebte?“
    „Ich liebte auch. Und Ich mag nicht mehr leben, da er tot ist.“
    „Sprich nicht so!“ rief Roxelane. „Es soll ihm nicht glücken, dich mir zu nehmen. Er hätte euch getötet, wenn er nicht gestorben wäre. Er soll dich mir nicht im Tod noch nehmen. Versprich mir zu leben, Dschihangir! Versprich es mir!“
    „Was hilft ein Versprechen...“, flüsterte er und versank.
    Sie bat, sie stöhnte.
    Leben sollte ihr Sohn, und er weigerte sich, es ihr zu versprechen. Denn sie hatte ihm etwas zugesagt, und sie hatte es nicht gehalten. Und jetzt fürchtete sie die Rache Mustafas.
    Angesichts des Todkranken erfüllte sie die Vorstellung, daß einzig und allein ihre Reue den Zauber zu bannen vermöge, die Reue, die zu lernen sie aus der Steppe gekommen sei, und die sie weder um den krummbeinigen Pjotr noch um den glänzenden Ibrahim gefühlt habe und nun auch nicht um Mustafa empfinde.
    „Meine Schuld, meine große Schuld . .begann sie dennoch zu stammeln.
    Doch die Worte versiegten. Roxelane spürte, wie schal ihr Gebet sei. Und sie wollte auch nicht! Die Mutter empörte sich.
    Kinder hatte sie geboren! Und nicht als bekränzte Schlachtopfer sollten sie sterben, sondern den Kreis ihres Lebens vollenden wie sie selbst. Das wollte Roxelane. Und sie fand keine Schuld an diesem Wollen.
    Aber ihre innerste Überzeugung, daß es in Dschihangirs Hand gelegt sei, den Tod oder das Leben zu wählen, ließ sie es noch einmal versuchen.
    Und ohne zu bedenken, daß der Islam die Sündenvergebung keinem Sterblichen übertrug, flehte sie: „Verzeih mir, Dschihangir, verzeih!“ Betete sie: „Vergib mir meine Sünden und erlöse mich von der Schuld! “
    Sie brach in die Knie und durchforschte voll Angst sein Gesicht.
    Seine Lider blieben geschlossen.
    Nur seine Lippen bewegten sich.
    „Möge Allah sich selbst vergeben ..lästerte er.
    „Dschihangir!“ schrie sie auf. „Sprich nicht so ..."
    Doch er vollendete, was er begann:
    „Ich sah Allahs Welt. . . Mutter.. . und fand sie nicht gut..." Roxelane konnte den Sohn nicht halten.
    Mit einem trotzigen, hochmütigen Zug um den Mund folgte Sultan Dschihangir seinem Bruder.

50
    Durch die Nogaische Steppe zog ein Trupp. Aber es handelte sich nicht um eine Wanderung nach andern Weideplätzen. Ohne Weiber, Kinder und Herden zogen die Männer mit nur wenig belasteten Handpferden dahin.
    Es waren Tataren, ein Stammesfürst, ein Bey der Steppe, mit seinem Gefolge.
    Eine gelbe Kappe trug der Bey, dessen dunkler Bart fast bis auf den Sattel herniederwallte. Aber hinter einem breiten Wulst von Schwarzfuchs verschwand diese Kappe fast ganz, besonders vorn, wo der Rand hochgeschlagen war, weil er sonst wohl die ganze Sicht verdeckt hätte.
    So vornehm der Mann aber auch war, so glitzerte doch nichts an seiner und seiner Begleiter Gewandung. Ihre Pelze trugen sie mit dem Leder nach außen, und daß die schweren Kaftane innen noch mit Metallplatten gegen Pfeilschüsse gefüttert waren, konnte niemand erkennen.
    Außer einem Säbel hing dem Bey an der Linken noch ein meterlanges Haumesser. Seinen aus Horn zusammengesetzten Bogen, den Köcher mit Pfeilen und seine Lanze wurden ihm nachgetragen wie der mit Adlerfedern benagelte Schild. Seine Begleiter dagegen mußten sich mit ihrer ganzen Bewaffnung plagen und obendrein noch mit je drei Gäulen.
    Unter diesen Tataren nahm sich der türkische Muteferrika mit seinen beiden Knechten großartig genug aus. Der hellbraunen Stute des
    Kuriers, die sich unter den struppigen
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