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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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lärmend, wie ich ruhig war, ließ er sich am Pfluge, auf der Wiese, im Gehölz, im Stalle und im Hühnerhofe zu gleicher Zeit sehen und besonders hören. Nur den Garten vernachlässigte er, weil die Arbeit in ihm zu still war und ohne alles Gelärme abging. Sein Hauptvergnügen war aufzuladen und zu fahren, Holz zu sägen oder zu spalten; man sah ihn stets die Axt oder die Hacke in der Hand; man hörte ihn laufen, klopfen oder laut schreien. Für wie viel Menschen er arbeitete, weiß ich nicht, aber Lärm machte er beständig für zehn oder zwölf. All dieses geräuschvolle Treiben erregte meiner armen Mama Bewunderung; dieser junge Mann kam ihr wie ein Schatz für ihre Angelegenheiten vor. In dem Wunsche ihn an sich zu fesseln, wandte sie alle Mittel an, welche sie für geeignet hielt, und vergaß das nicht, auf welches sie sich am meisten verließ.
    Man hat mein Herz erkennen müssen, seine beständigsten und wahrsten Gefühle, namentlich diejenigen, welche mich in diesem Augenblicke an ihre Seite zurückriefen. Welch schneller und plötzlicher Umschwung meines ganzen Seins! Man stelle sich an meinen Platz, um sich ein Urtheil darüber zu bilden. In einem Augenblicke sah ich die ganze glückliche Zukunft, die ich mir ausgemalt hatte, für immer verschwinden. Alle die seligen Hoffnungen, die ich gehegt hatte, lösten sich auf; und ich, der ich seit meiner Jugend mein Dasein mit dem ihrigen unzertrennbar verbunden sah, erblickte mich jetzt zum ersten Male allein. Dieser Augenblick war schrecklich, und alle, die ihm folgten, waren düster. Ich war noch jung, aber das beseligende Gefühl von Genuß und Hoffnung, das die Jugend belebt, verließ mich auf immer. Damals erstarb das fühlende Wesen zur Hälfte in mir. Ich sah nur noch die traurigen Reste eines faden Lebens vor mir; und wenn sich meinem Verlangen doch mitunter ein Bild des Glückes in flüchtigen Umrissen zeigte, so war dieses Glück doch im Grunde nicht das, welches sich für mich eignete; ich fühlte, daß, wenn ich es erlangte, ich doch nicht wahrhaft glücklich sein würde.
    Ich war so dumm, und mein Vertrauen war so groß, daß es mir trotz des vertraulichen Benehmens des Neuangekommenen, welches ich der alle Standesunterschiede ausgleichenden Umgänglichkeit Mamas zuschrieb, nicht eingefallen wäre, den wahren Grund zu ahnen, wenn sie ihn mir nicht selbst gesagt hätte; aber sie beeilte sich, mir dieses Geständnis mit einer Offenheit abzulegen, die ganz darnach angethan war, meine Wuth noch zu steigern, wenn mein Herz dazu fähig gewesen wäre. Sie fand von ihrem Standpunkte aus die Sache ganz einfach, warf mir meine Nachlässigkeit im Hause vor und berief sich auf meine häufige Abwesenheit, als hätte sie eine so sinnliche Natur gehabt, daß sie einen schnellen Ersatz für das Versäumte verlangt hätte. »Ach, Mama,« sagte ich zu ihr mit schmerzlich bewegtem Herzen, »was erlaubst du dir, mir mitzutheilen! Was für ein Lohn für eine Liebe wie die meine! Hast du mir nur deshalb das Leben so oft gerettet, um mir alles zu rauben, was mir dasselbe theuer machte? Ich werde sterben, aber du wirst mich zurückwünschen.« Sie erwiderte mir in einem so ruhigen Tone, daß ich hätte närrisch werden können, ich wäre ein Kind, und man stürbe nicht an dergleichen Dingen; ich würde nichts verlieren, wir würden nicht weniger gute Freunde, nicht weniger vertraut in jeder Hinsicht sein; ihre zärtliche Zuneigung könnte nicht abnehmen und würde nur mit ihrem Leben enden. Mit einem Worte, sie gab mir zu verstehen, daß alle meine Rechte noch die nämlichen wären, und daß ich, wenn ich sie auch mit einem andern theilte, ihrer deshalb nicht verlustig ginge.
    Nie machte sich mir die Reinheit, die Wahrheit, die Stärke meiner Gefühle für sie, nie die Aufrichtigkeit und Redlichkeit meiner Seele fühlbarer als in diesem Augenblicke. Ich stürzte mich ihr zu Füßen, ich umarmte, Ströme von Thränen vergießend, ihre Knie. »Nein, Mama,« erwiderte ich leidenschaftlich, »ich liebe dich zu sehr, um dich herabzuwürdigen; dein Besitz ist mir zu theuer, um ihn zu theilen; die innere Unruhe, die sich meiner bemächtigte, als ich ihn erlangte, hat sich mit meiner Liebe gesteigert; nein, um denselben Preis kann ich ihn mir nicht bewahren. Ich werde dich immer anbeten, mache dich dessen beständig würdig; deine Verehrung ist mir ein noch größeres Bedürfnis als dein Besitz. Ich überlasse dich dir selber, Mama; der Vereinigung unserer Herzen opfere ich meine
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