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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Verdruß wiederzusehen. Aber wie konnte ich es bei ihr, der ich alles gewesen und die nicht aufhören konnte, mir alles zu sein, als ein Ueberzähliger aushalten? wie als ein Fremdling in dem Hause leben, dessen Kind ich war? Der Anblick der Gegenstände, die Zeugen meines vergangenen Glückes gewesen waren, machte mir den Vergleich noch grausamer. In einer andern Wohnung würde ich weniger gelitten haben. Aber indem sich mir unaufhörlich so viele süße Erinnerungen aufdrängten, steigerten sie nur das schmerzliche Gefühl meines Verlustes. Von fruchtloser Trauer verzehrt, in düsterste Schwermuth versenkt, blieb ich wieder wie früher außer den Eßstunden für mich allein. Mit meinen Büchern eingeschlossen, suchte ich in ihnen nützliche Zerstreuungen, und einsehend, daß die Gefahr, welche ich früher so sehr gefurcht tet hatte, binnen kurzem hereinbrechen mußte, quälte ich mich von neuem ab, in mir selbst die Mittel zu finden, mit denen ich Mama beispringen könnte, wenn sie hilflos dastände. Wie ich ihre Verhältnisse geregelt hatte, konnten sie wenigstens nicht schlimmer werden; aber nach mir hatte sich alles geändert. Ihr Haushalter war ein Verschwender. Er wollte glänzen mit gutem Pferd und gutem Wagen; er liebte es, vor den Nachbaren einen großen Prunk zu entfalten; er machte in Dingen, von denen er nichts verstand, unaufhörlich Unternehmungen. Die Pension wurde im voraus verzehrt; ihre vierteljährlichen Raten waren verpfändet, die Pachtgelder waren rückständig, und das Schuldenmachen ging seinen Gang. Ich sah vorher, daß man nicht säumen würde, diese Pension mit Beschlag zu belegen, ja, daß sie ihr vielleicht entzogen werden würde. Kurz, ich hatte nur Untergang und Elend vor Augen, und der Augenblick ihres Hereinbrechens schien mir schon so nahe, daß ich alle ihre Schrecken im voraus empfand.
    Mein liebes Arbeitszimmer war meine einzige Zerstreuung. Nachdem ich Mittel gegen meine Seelenunruhe gesucht hatte, dachte ich daran, einige gegen das Unglück, das ich voraussah, ausfindig zu machen; und auf meine alten Gedanken zurückkommend, baute ich lustig wieder neue Luftschlösser, um die arme Mama vor der bittren Noth zu bewahren, in die ich sie im Begriff sah zu versinken. Ich fühlte mich nicht gelehrt genug und glaubte auch nicht Geist genug zu besitzen, um in der Gelehrtenrepnblik zu glänzen und auf diesem Wege mein Glück zu machen. Ein neuer Gedanke, der in mir aufstieg, erfüllte mich mit dem Vertrauen, welches mir die Mittelmäßigkeit meiner Talente nicht geben konnte. Ich hatte die Musik nicht aufgegeben, als ich sie nicht mehr lehrte; ich hatte im Gegentheil ihre Theorie hinreichend studirt, um mich wenigstens in ihr als Fachgelehrten betrachten zu können. Als ich an die Mühe dachte, die mir die Erlernung des Notenlesens gemacht, und an die, welche ich noch immer hatte, sofort vom Blatte zu singen, gelangte ich zu der Ueberzeugung, daß die Ursache dieser Schwierigkeit in eben so hohem Grade in der Sache selbst als in mir liegen könnte, zumal ich wußte, daß im allgemeinen niemand die Musik leicht erlernt. Bei der Prüfung der Notenzeichen erkannte ich, daß sie oft schlecht ersonnen wären. Ich hatte schon längst daran gedacht, die Tonleiter mit Zahlen zu bezeichnen, um das ewige Ziehen der Notenlinien ersparen zu können, die man sonst zum Aufschreiben der kleinsten Melodie nöthig hat. Ich war durch die Schwierigkeiten abgehalten worden, welche die Oktaven und der Takt so wie die Geltung der Noten bereiteten. Diese alte Idee stieg von neuem in mir auf und ich sah, als ich sie abermals durchdachte, daß diese Schwierigkeiten nicht unüberwindlich wären. Ich grübelte mit Erfolg darüber nach, und es gelang mir, jegliche Musik mit meinen Zahlen mit der größten Genauigkeit und, wie ich behaupten darf, auch mit der größten Einfachheit niederzuschreiben. Von diesem Augenblicke an hielt ich mein Glück für gemacht, und in dem Eifer, es mit der, welcher ich alles verdankte, zu theilen, dachte ich nur noch daran, nach Paris zu reisen, da ich nicht zweifelte, daß die Einreichung meiner Arbeit bei der Akademie eine vollständige Umwälzung herbeiführen würde. Ich hatte von Lyon einiges Geld zurückgebracht; ich verkaufte meine Bücher. In vierzehn Tagen war mein Entschluß gefaßt und ausgeführt. Voll von den glänzenden Einbildungen, die ihn mir eingeflößt hatten, und immerdar derselbe, reiste ich endlich mit meinem Musikplane aus Savoyen ab, wie ich einst Turin mit
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