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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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schneller, als ich berechnet hatte. Von Valence aus hatte ich ihr Tag und Stunde meiner Ankunft angezeigt. Da ich einen Vorsprung von einem halben Tage gewonnen hatte, verweilte ich eben so lange Zeit in Chaparillon, um genau in dem angegebenen Augenblicke einzutreffen. Ich wollte die Freude des Wiedersehens in ihrem ganzen Reize genießen. Ich schob sie lieber ein wenig hinaus, um das Vergnügen, erwartet zu werden, damit zu verbinden. Diese Vorsicht war für mich stets von gutem Erfolge gewesen. Ich hatte meine Ankunft stets durch eine Art kleinen Festes feiern sehen; diesmal rechnete ich darauf eben so sehr, und es lohnte sich wohl der Mühe, Veranlassung zu solchen Aufmerksamkeiten zu geben, für welche ich so erkenntlich war.
    Ich langte also genau zu der festgesetzten Stunde an. Schon von weitem blickte ich mich um, ob ich sie nicht auf dem Wege entdecken würde; je näher ich ihrem Hause kam, desto heftiger klopfte mir das Herz. Athemlos komme ich an, denn ich hatte meinen Wagen in der Stadt verlassen; ich gewahre niemanden im Hofe, an der Thür, am Fenster; ich fange an, unruhig zu werden, ich befürchte irgend ein Unglück. Ich trete ein; alles ist ruhig; Tagelöhner vesperten in der Küche; übrigens nirgends ein Willkommenszeichen. Die Magd schien bei meinem Anblick überrascht; sie wußte nicht, daß ich ankommen sollte. Ich gehe die Treppe hinauf; endlich sehe ich sie, diese theure, so zärtlich, so heiß, so rein geliebte Mama; ich fliege auf sie zu, ich stürze mich ihr zu Füßen. »Ei, da bist du ja, Kleiner,« sagt sie, mich umarmend, »ist deine Reise glücklich abgelaufen? Wie befindest du dich?« Dieser Empfang bringt mich ein wenig aus der Fassung. Ich fragte sie, ob sie meinen Brief nicht erhalten hätte. Sie bejahte es. »Ich hätte es nicht gedacht,« entgegnete ich, und damit hatte unsere gegenseitige Erklärung ein Ende. Ein junger Mann war bei ihr. Ich kannte ihn, da ich ihn schon vor meiner Abreise im Hause gesehen hatte; aber diesmal schien er darin eine feste Stellung einzunehmen, und so war es wirklich. Kurz, ich fand meine Stelle besetzt.
    Dieser junge Mann war aus dem Waadtlande; sein Vater, ein gewisser Vintzenried, war Burgvogt oder sogenannter Kapitän des Schlosses Chillon. Der Sohn des Herrn Kapitäns war Barbiergehilfe und befand sich, als er sich Frau von Warens vorstellte, in dieser Eigenschaft auf der Wanderschaft. Sie nahm ihn wie alle Reisende und namentlich die aus ihrer Heimat freundlich auf. Es war ein großer, fader Flachskopf, ziemlich wohlgestaltet, von eben so gewöhnlichem Gesichte wie Geist. Er konnte sprechen wie der schöne Liandre und gab bei der langen Aufzählung seiner Liebschaften den ganzen Ton und alle Neigungen seines Standes zu erkennen. Trotzdem nannte er nur die Hälfte der Marquisen, bei denen er geschlafen hatte, behauptete aber, keine hübschen Frauen frisirt zu haben, deren Männern er nicht Hörner aufgesetzt hätte. Eitel, dumm, unwissend, unverschämt, sonst aber der beste Junge von der Welt. So war der Stellvertreter, der mir während meiner Abwesenheit gegeben war, und der Gefährte, der mir nach meiner Rückkunft beigesellt wurde.
    Ach, wenn die von ihren irdischen Fesseln befreiten Seelen noch aus dem Schooße des ewigen Lichtes auf das, was bei den Sterblichen geschieht, herniederschauen, dann verzeihe, theurer und hochverehrter Schatten, wenn ich gegen deine Fehler eben so wenig Nachsicht habe, wie gegen die meinigen, wenn ich die einen wie die andern vor den Augen der Leser in gleicher Weise enthülle. Ich muß und will für dich wie für mich wahr sein; du wirst dabei immer weniger verlieren als ich. Wie sollte nicht dein liebenswürdiger und sanfter Charakter, deine unerschöpfliche Herzensgüte, deine Offenherzigkeit und alle deine ausgezeichneten Tugenden solche Schwachheiten ausgleichen, wenn man die blosen Irrthümer deiner Vernunft so nennen darf! Du ließest dir Verirrungen zu Schulden kommen, aber keine Fehler; deine Aufführung war tadelnswerth, aber dein Herz war immer rein. [Fußnote: Var. ... immer rein. Man lege das Gute und das Schlechte auf die Wage, und möge billig sein; welche andere Frau würde je wagen, sich mit dir zu vergleichen, wenn ihr geheimes Leben so offenkundig vor aller Welt da läge wie das deinige.]
    Der neue Ankömmling hatte sich bei all ihren kleinen Aufträgen, die sie stets in großer Zahl hatte, eifrig, fleißig und pünktlich gezeigt; er hatte sich zum Aufseher ihrer Arbeiter aufgeworfen. Eben so
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