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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Neben dem Besitze einer Frau voller Reize suchte er noch die Befriedigung seiner Gelüste bei einer alten rothköpfigen und zahnlosen Kammerfrau, deren widerwärtige Dienste Mama geduldig ertrug, so übel ihr bei denselben auch war. Ich bemerkte diese neue Schlechtigkeit und ward von Unwillen ergriffen, aber ich bemerkte noch etwas Anderes, was mich weit mehr bekümmerte und in eine tiefere Muthlosigkeit versenkte als alles, was sich bis dahin ereignet hatte, das war Mamas Erkaltung gegen mich.
    Die Entsagung, die ich mir auferlegt, und die sie dem Anscheine nach gebilligt hatte, gehört zu jenen Dingen, welche die Frauen nie verzeihen, welche Miene sie auch dazu machen, weniger wegen der Entbehrung, die sie dadurch persönlich leiden, als wegen der Gleichgiltigkeit gegen ihren Besitz, die sie darin erblicken. Nehmet die verständigste, gebildetste, am wenigsten sinnliche Frau: das unverzeihlichste Verbrechen, welches der Mann, um den sie sich sonst am wenigsten kümmert, gegen sie begehen kann, ist, ihren Besitz erlangen zu können und keinen Gebrauch davon zu machen. Das muß wohl ausnahmslos der Fall sein, weil eine so natürliche und innige Zuneigung in ihr in Folge einer Enthaltung erkaltete, die nur auf Gründen der Tugend, der Anhänglichkeit und Achtung beruhte. Von da an fand ich bei ihr nicht mehr jene Vertraulichkeit der Herzen, die stets den süßesten Genuß des meinigen ausmachte. Sie schüttete mir ihr Herz nur noch aus, wenn sie sich über den neuen Ankömmling zu beklagen hatte; lebten sie in Frieden mit einander, zog sie mich wenig in ihr Vertrauen. Endlich zeigte sich immer mehr und mehr, daß ich in ihrem Herzen keine Stelle mehr hatte. Meine Gegenwart war ihr zwar noch angenehm, aber kein Bedürfnis mehr; und hätte ich sie ganze Tage lang nicht aufgesucht, würde sie es gar nicht bemerkt haben.
    Unmerklich fühlte ich mich alleinstehend und einsam in diesem nämlichen Hause, dessen Seele ich vorher war und in dem ich gleichsam ein Doppelleben führte. Ich gewöhnte mich allmählich daran, mich von allem, was darin vorfiel, und sogar von seinen Bewohnern fern zu halten; und um mir eine unaufhörliche Marter zu ersparen, schloß ich mich mit meinen Büchern ein oder ging tief in dte Wälder hinein, um nach Herzenslust zu seufzen und zu weinen. Solches Leben wurde mir bald völlig unerträglich. Ich fühlte, daß bei der eingetretenen Entfremdung die persönliche Gegenwart einer Frau, die mir so theuer war, meinen Schmerz steigerte, und daß, sobald ich sie nicht mehr sähe, ich mich weniger schmerzlich von ihr getrennt fühlen würde. Ich faßte den Entschluß, ihr Haus zu verlassen, und sagte es ihr, und weit davon entfernt, sich ihm zu widersetzen, nahm sie ihn günstig auf. Sie hatte in Grenoble eine Freundin, Namens Deybens, deren Gatte der Freund des Herrn von Mably, des Oberhofrichters zu Lyon, war. Herr Deybens schlug mir vor, die Erziehung der Kinder des Herrn von Mably zu übernehmen; ich ging darauf ein und reiste nach Lyon, ohne die geringste Trauer über eine Trennung, deren blose Vorstellung uns früher mit Todesqual erfüllt hätte, zu hinterlassen, ja fast zu fühlen.
    Ich besaß ungefähr die für einen Erzieher nothdürftigen Kenntnisse und, wie ich glaubte, auch die Fähigkeit dazu. Während des einen Jahres, welches ich bei Herrn von Mably zubrachte, hatte ich Zeit, aus diesem Wahne zu kommen. Mein sanftmüthiger Charakter hätte mich zu diesem Berufe sehr geeignet gemacht, wenn ihn mir nicht meine stürmische Hitze erschwert hätte. So lange alles gut ging, so lange ich sah, daß mein Fleiß und meine Mühe, an denen ich es damals wahrlich nicht fehlen ließ, einen günstigen Erfolg hatte, war ich ein Engel; aber ein Teufel, wenn es nicht nach meinen Gedanken ging. Verstanden mich meine Zöglinge nicht, gerieth ich außer mir, und zeigten sie sich böswillig, hätte ich sie tödten mögen; das war freilich nicht das Mittel, sie klug und artig zu machen. Ich hatte ihrer zwei; sie hatten sehr verschiedenen Charakter. Der eine, acht- oder neunjährig, Namens Sainte-Marie, hatte ein hübsches Aeußere, war ziemlich geweckt, ziemlich lebhaft, ausgelassen, muthwillig, boshaft, aber von einer heiteren Bosheit. Der jüngere, der den Namen Condillac trug, [Fußnote: Var... Condillac trug nach seinem inzwischen so berühmt gewordenen Oheim.] schien fast dumm, tölpelhaft, störrisch wie ein Maulthier und vermochte fast nichts zu fassen. Man kann sich denken, daß ich an diesen beiden
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