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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Kindern keine leichte Arbeit hatte. Mit Geduld und Kaltblütigkeit hätte ich vielleicht Erfolge erzielt, aber in Ermangelung beider erreichte ich nichts Nennenswerthes, und meine Zöglinge mißriethen so ziemlich. Es fehlte mir nicht an beharrlichem Fleiße, allein es fehlte mir an Gleichmäßigkeit und namentlich an Klugheit. Ich wußte bei ihnen nur drei, bei Kindern stets fruchtlose und oft gefährliche Hilfsmittel in Anwendung zu bringen: das Gefühl, vernünftige Ueberlegungen und den Zorn. Bald vergoß ich bei Sainte-Marie Thränen der Rührung; ich wollte ihn selbst rühren, als ob das Kind für eine wahre Herzensregung empfänglich gewesen wäre; bald erschöpfte ich mich, ihm vernünftige Vorhaltungen zu machen, als ob er im Stande gewesen wäre, mich zu verstehen, und da er mir mitunter sehr spitzfindig antwortete, hielt ich ihn in vollem Ernste für vernünftig, weil er einmal einen vernünftigen Gedanken geäußert hatte. Der kleine Condillac bereitete mir noch mehr Sorgen, weil er nichts auffaßte, nichts antwortete, über nichts in Aufregung gerieth und mit seinem unerschütterlichen Leichtsinn nie mehr über mich triumphirte, als wenn er mich wüthend gemacht hatte; dann war er der Verständige und ich das Kind. Ich sah alle meine Fehler ein und fühlte sie; ich studirte den Charakter meiner Zöglinge; ich durchschaute sie sehr gut und glaube nicht, daß ich mich auch nur ein einziges Mal von ihnen habe hintergehen lassen. Aber was nützte mir die Erkenntnis des Uebels, wenn ich nicht das Heilmittel dagegen anzuwenden verstand? Obgleich ich alles erkannte, ließ ich alles beim Alten, und alles, was ich that, war gerade das, was ich nicht hätte thun sollen.
    Auch ich für meine Person hatte keinen größeren Vortheil als meine Zöglinge. Ich war von Frau Deybens der Frau von Mably empfohlen worden. Sie hatte dieselbe gebeten, mein Benehmen zu bilden und mir Weltton beizubringen. Frau von Mably gab sich wirklich Mühe und verlangte, ich sollte lernen, die Gäste zu empfangen und zu unterhalten; aber ich benahm mich so linkisch, ich war so schüchtern, so albern, daß sie den Muth verlor und sich nicht mehr um mich kümmerte. Dies hinderte mich nicht, mich nach meiner Gewohnheit in sie zu verlieben. Aus meinem Benehmen merkte sie es, aber ich wagte mich nie zu erklären; sie hatte nicht Lust, mir entgegen zu kommen, und vergeblich liebäugelte und seufzte ich, so daß ich selbst dessen bald überdrüssig wurde, da ich sah, daß ich nicht zum Ziele gelangte.
    Bei Mama hatte ich den Hang zu kleinen Diebereien völlig verloren, da ja alles mir gehörte und ich folglich nichts zu stehlen hatte. Ueberdies mußten die edeln Grundsätze, die ich mir gebildet hatte, mich fortan hoch über dergleichen Gemeinheiten erheben, und es ist gewiß, daß ich seitdem gewöhnlich darüber erhaben gewesen bin, aber weniger deshalb, weil ich meine Versuchungen zu überwinden gelernt, als weil ich ihnen die Wurzel abgeschnitten hatte; und ich fürchte sehr, daß ich noch wie in meiner Kindheit stehlen würde, wäre ich noch denselben Begierden ergeben. Den Beweis davon hatte ich bei Herrn von Mably. Von leicht stehlbaren Kleinigkeiten umgeben, denen ich nicht einmal Beachtung schenkte, kam es mir in den Sinn, nach einem sehr angenehm schmeckenden weißen Arboiswein lüstern zu werden, nachdem mir einige Gläser desselben, die ich dann und wann bei der Tafel getrunken, ein großes Verlangen eingeflößt hatten. Er war ein wenig trüb; ich bildete mir ein, die Kunst zu verstehen, den Wein zu klären, und rühmte mich dessen. Man vertraute mir deshalb den Arboiswein an; ich klärte und klärte, verdarb ihn aber noch mehr, wenn auch nur für das Auge; er blieb immer angenehm zu trinken, und die Gelegenheit machte, daß ich mir von Zeit zu Zeit einige Flaschen davon aneignete, um sie auf meinem kleinen Zimmer in aller Gemüthlichkeit zu trinken. Leider habe ich nie trinken können, ohne dabei zu essen. Wie es anstellen, um Brot zu bekommen? Es war unmöglich, mir etwas aufzuheben. Es durch die Dienerschaft kaufen zu lassen, hieß mich verrathen; auch hätte darin fast eine Beleidigung des Hausherrn gelegen. Es selbst zu kaufen, wagte ich nicht. Konnte wohl ein vornehmer Herr mit dem Degen an der Seite zu einem Bäcker gehen, um sich ein Stück Brot zu kaufen? War das möglich? Endlich erinnerte ich mich des Auskunftsmittels einer großen Prinzessin, der man sagte, die Bauern hätten kein Brot, und die antwortete: »Sie können ja
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