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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Sinnenlust. Ich würde tausendmal lieber sterben, als mich einem Genusse hingeben, der das erniedrigt, was ich liebe!«
    Ich blieb bei diesem Entschlusse mit einer, wie ich wohl sagen darf, des Gefühls, aus dem er entsprang, würdigen Beharrlichkeit. Von diesem Augenblicke an sah ich diese so heiß geliebte Mama nur noch mit den Augen eines wirklichen Sohnes an; und ich muß bemerken, daß sie, obwohl sie, wie ich nur zu gut bemerkte, meinen Entschluß keineswegs im Geheimen billigte, nie versuchte, mich von demselben abtrünnig zu machen, weder durch einschmeichelnde Reden, noch durch Liebkosungen, noch durch irgend eine jener verlockenden Buhlerkünste, welche die Frauen zu benutzen verstehen, ohne sich etwas zu vergeben, und die selten erfolglos sind. Gezwungen, mir ein von ihr unabhängiges Loos zu suchen und unfähig, ein solches aufzufinden, ging ich bald in das andere Extrem über und verknüpfte mein Schicksal ganz mit dem ihrigen. Ich suchte es darin so vollkommen, daß ich dahin gelangte, mich fast selbst zu vergessen. Der glühende Wunsch, sie um jeden Preis glücklich zu sehen, nahm alle meine Gefühle in Anspruch. Umsonst hätte sie sich bemüht, ihr Glück von dem meinigen zu trennen; ich betrachtete es, mochte sie wollen oder nicht, als das meinige.
    So begannen im Verein mit meinem Unglück die Tugenden zu keimen, deren Same auf dem Grunde meiner durch das Studium befruchteten Seele lag, und die, um zu ihrer höchsten Entwickelung zu gelangen, nur die Triebkraft der Trübsal erwarteten. Die erste Frucht dieser selbstlosen Gesinnung war das Schwinden allen Hasses und Neides wider den, der meine Stellung untergraben hatte. Ich wollte mich vielmehr, und zwar ganz aufrichtig, an den jungen Mann anschließen, ihn bilden, an seiner Erziehung arbeiten, ihm sein Glück zum Bewußtsein bringen, ihn desselben womöglich würdig machen und mit einem Worte für ihn alles thun, was Anet bei einer ähnlichen Gelegenheit für mich gethan hatte. Aber hier war die Verschiedenheit der Persönlichkeiten zu groß. Bei größerer Sanftmuth und Bildung fehlte mir doch Anets Kaltblütigkeit und Festigkeit, wie jene Charakterstärke, die Achtung abnöthigte und deren ich zur Ausführung meiner Absicht bedurft hätte. Noch weniger fand ich in dem jungen Manne die Eigenschaften, die Anet in mir gefunden hatte: die Gelehrigkeit, die Liebe, die Erkenntlichkeit, namentlich nicht das Gefühl, daß ich seiner Hilfe bedurfte, und das brennende Verlangen, sie zu benutzen. Dies alles mangelte hier. Der, welchen ich bilden wollte, betrachtete mich nur als einen lästigen Pedanten, der sich lediglich in leeren Redensarten erging. Sich selbst dagegen bewunderte er als eine im Hause wichtige Person, und da er die Dienste, welche er darin zu leisten glaubte, nach dem dabei erhobenen Lärm abmaß, so galten in seinen Augen seine Hacken und Beile für unendlich nützlicher als alle meine Bücher. In gewisser Hinsicht hatte er nicht Unrecht, aber er fand darin einen hinreichenden Grund, eine Miene anzunehmen, über die man sich hätte todtlachen können. Bei den Bauern spielte er den Landjunker, bald auch mir und endlich sogar Mama gegenüber. Sein Name Vintzenried schien ihm nicht edel genug, er vertauschte ihn mit dem eines Herrn von Courtilles, und unter letzterem Namen ist er seitdem in Chambery und in Maurienne, wo er sich verheirathet hat, bekannt geworden. Kurz, der erlauchte Herr bemächtigte sich so vollkommen der Zügel, daß er im Hause alles war und ich nichts. Da er, sobald ich das Unglück hatte, sein Mißfallen zu erregen, Mama und nicht mich ausschalt, so machte mich die Besorgnis, sie seinen Grobheiten auszusetzen, gegen seine Wünsche nachgiebig; und so oft er Holz spaltete, ein Geschäft, dem er mit einem Stolze ohne Gleichen oblag, mußte ich den müßigen Zuschauer und stillen Bewunderer seiner Heldenthat abgeben. Trotzdem hatte dieser Bursche durchaus keinen schlechten Charakter; er liebte Mama, weil es unmöglich war, sie nicht zu lieben, sogar gegen mich hatte er keine Abneigung; und wenn die lichten Augenblicke, die er hin und wieder hatte, mit ihm zu reden gestatteten, hörte er uns bisweilen ziemlich aufmerksam an, wobei er offen zugab, daß er nichts als ein Dummkopf wäre; hinterher machte er aber nichtsdestoweniger neue Dummheiten. Er hatte übrigens eine so beschränkte Fassungskraft und so gemeine Neigungen, daß es schwierig war, ihn zur Vernunft zu bringen, und fast unmöglich, mit ihm zusammen zu sein.
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