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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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zu, und obgleich ich für dergleichen Entbehrungen nicht sehr empfindlich bin, boten sich mir doch so nahe liegende Vergleichungspunkte dar, daß ich mich nicht erwehren konnte, zuweilen gebührend anzuerkennen, daß Herr von Torignan ein weit größeres Verständnis für die Küchengeheimnisse besessen hätte als Herr Fitz Moris. Da man jedoch auch nicht gerade verhungerte, und diese ganze Jugend sehr lebenslustig war, so that mir diese Lebensweise wirklich gut und verhütete einen Rückfall in meine Schlaffheit. Ich verwandte den Morgen zum Einnehmen, namentlich zum Brunnentrinken, ich glaube des Balserwassers, und zum Briefschreiben an Frau von Larnage; denn der Briefwechsel blieb im Gange, und Rousseau übernahm es, die Briefe seines Freundes Dudding in Empfang zu nehmen. Gegen Mittag machte ich mit einigen unserer jungen Tischgenossen, die alle sehr gute Jungen waren, einen Spaziergang nach Canourgue; darauf allgemeine Zusammenkunft zum Essen. Nach Tische beschäftigte eine wichtige Angelegenheit den größten Theil von uns bis zum Abend, nämlich ein Ausflug vor die Stadt, wo zwei oder drei Maillepartien um das Abendbrot gespielt wurden. Da es mir an Kraft und Geschicklichkeit dazu fehlte, spielte ich nicht mit, aber ich wettete, und da ich unsern Spielern und ihren Kugeln mit dem Eifer eines Wettenden durch die unebenen und steinigen Wege folgte, machte ich mir eine angenehme und heilsame Bewegung, die mir sehr zusagte. Man nahm das Abendessen in einem Wirthshause außerhalb der Stadt ein. Ich brauche nicht erst zu sagen, daß es bei diesen Essen heiter zuging, aber ich muß hinzufügen, daß bei ihnen ein ziemlicher Anstand beobachtet wurde, obgleich die aufwartenden Mädchen hübsch waren. Herr Fitz Moris, ein großer Maillespieler, war unser Vorsitzender, und ich kann sagen, daß ich trotz des schlechten Rufes der Studenten unter dieser ganzen Jugend mehr Sittlichkeit und Anstand gefunden habe, als man vielleicht unter einer gleichen Anzahl erwachsener Männer hätte finden können. Sie waren mehr lärmend als wüst, mehr lustig als locker; und ich finde mich so leicht in eine Lebensweise, wenn sie nicht aufgezwungen wird, daß ich nichts Besseres verlangt hätte, als diese hier von steter Dauer zu sehen. Unter den Studenten befanden sich mehrere Irländer, von welchen ich aus Vorsicht einige Worte englisch für Saint-Andiol zu lernen suchte, denn die Zeit, mich dorthin zu begeben, rückte heran. An jedem Posttage drängte mich Frau von Larnage dazu, und ich bereitete mich vor, ihr zu gehorchen. Es lag auf der Hand, daß mich meine Aerzte, die mein Leiden nicht erkannt hatten, als einen eingebildeten Kranken betrachteten und mich, sich darauf stützend, mit ihrer Chinawurzel, ihren Brunnen und ihren Molken behandelten. Ganz im Gegensatze mit den Theologen nehmen die Aerzte und die Philosophen nichts für wahr an, als was sie erklären können und machen ihren Verstand zum Maßstab für das Mögliche. Diese Herren konnten mein Leiden nicht erkennen, folglich war ich nicht krank; denn wie läßt sich annehmen, daß Doctoren nicht alles wüßten? Ich sah, daß sie mich nur hinzuhalten suchten und mein Geld verzehren ließen, und überzeugt, daß ihr Stellvertreter in Saint-Andiol dies alles eben so gut wie sie, aber auf angenehmere Weise thun würde, beschloß ich, ihm den Vorzug zu geben, und verließ Montpellier in dieser klugen Absicht.
    Ich reiste gegen Ende November ab nach einem sechswöchentlichen oder zweimonatlichen Aufenthalte in dieser Stadt, in der ich ein Dutzend Louisd'or ließ ohne irgend einen Vortheil für meine Gesundheit oder meine Belehrung, wenn ich nicht einen Cursus in der Anatomie als einen solchen betrachten soll, den ich bei Herrn Fitz Moris belegt hatte, aber wegen des entsetzlichen Gestankes der Leichname, welche man secirte, wieder aufzugeben gezwungen war.
    Mit meinem gefaßten Entschluß nicht ganz zufrieden, überlegte ich ihn noch einmal, während ich mich Pont-Saint-Esprit, wo sich die Straßen nach Saint-Andiol und nach Chambery theilen, immer mehr näherte. Die Erinnerungen an Mama und ihre Briefe riefen, wenn sie auch seltener schrieb als Frau von Larnage, in meinem Herzen wieder die Gewissensbisse wach, welche ich auf der Hinreise zurückgedrängt hatte. Jetzt auf der Rückreise wurden sie so lebhaft, daß sie, indem sie der äußeren Sinnenlust die Wage hielten, mich in den Stand setzten, der Vernunft allein Gehör zu geben. Zunächst konnte ich in der Rolle eines
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