Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rotes Pferd mit schwarzer Mähne

Rotes Pferd mit schwarzer Mähne

Titel: Rotes Pferd mit schwarzer Mähne
Autoren: Walter Farley
Vom Netzwerk:
trat er einen Schritt zurück.
    Er wußte nicht, wie lange er auf ihren zerzausten Kopf und ihr von Stroh und Dung beschmutztes Fell starrte. Er war so überrascht, daß ihm beim besten Willen im Moment nicht einfiel, was er zu tun hatte.
    Automatisch rannte er den Gang entlang, der in den hinteren Teil von Queens Stall führte. «Es ist da! Es ist da!» hörte er sich wieder und wieder sagen, ohne daß ihm klargeworden wäre, was er eigentlich wollte.
    Plötzlich stand er vor der großen Kiste, die den Hafer enthielt, seine Hände wühlten in den Körnern herum.
    Die Stute wieherte, er drehte sich hastig nach ihr um. Sie beobachtete ihn aufmerksam.
    «Gib ihr nur leichtes Futter in den ersten beiden Tagen!»
    Jetzt arbeitete sein Gehirn wieder. Zwar hatte er sich noch nicht ganz gefaßt, aber er kam langsam wieder zu Verstand. Was hatte Jimmy gesagt?
    «Gebrühte Kleie! Gib der Stute unmittelbar nach dem Abfohlen Kleie.»
    Schnell nahm er den bereitstehenden Eimer, rannte zu dem Sack, der Kleie enthielt, füllte den Eimer halbvoll und wandte sich wieder der Stute zu. Es würde einige Zeit dauern, bis er den Brei zubereitet hatte, denn er benötigte erst heißes Wasser und Salz. Heißes Wasser aber stand auf dem Küchenherd drüben im Wohnhaus.
    Das Fohlen! Mit ihm sollte etwas geschehen!
    Er tat ein paar Schritte in den Stall hinein, um das dunkle Bündel im Stroh deutlicher sehen zu können. Die Stute folgte ihm mißtrauisch.
    Das Kleine bewegte sich jetzt. Mit großer Anstrengung hob es den schweren Kopf aus dem Stroh, doch es fehlte ihm noch an Kraft. Seine langen Beine, halb verborgen im Stroh, waren steif weggestreckt. Unter dem nassen Fell zeichneten sich die zerbrechlichen Rippen ab, und der Brustkorb hob und senkte sich. Das Fohlen atmete ruhig.
    Stütchen oder Hengst? Die Frage interessierte Tom im Augenblick gar nicht, die Hauptsache war, daß das kleine Geschöpf lebte. «Reibe das Fohlen trocken, wenn es die Stute nicht tut. Wische die Nasenlöcher aus, damit es mühelos atmen kann.» Nach und nach fielen ihm Jimmys Instruktionen wieder ein. Allerdings hämmerte sein Herz vor Aufregung, und er war unsicher auf den Beinen.
    Nahe der Rückwand befand sich eine kleine Tür, durch die man von hinten in die Box gelangen konnte. Tom ging hinein, während er das saubere Taschentuch aus der Tasche seines Overalls zog. Queen hielt sich dicht neben ihm. Als er jetzt auf das Junge zugehen wollte, stellte sie sich mit gefletschten Zähnen davor. Sie war nur noch eine beschützende Mutter, die ihr Kind von keinem anfassen lassen wollte!
    Kein Mensch, nicht einmal Jimmy Creech, hatte ihn darauf vorbereitet, daß so etwas eintreten konnte. Er hörte das Fohlen hinter der Stute im Stroh rascheln. Wahrscheinlich versuchte es, auf die Beine zu kommen. Toms Finger schlossen sich krampfhaft um das Taschentuch. Während er wie angewurzelt dastand, kam ihm plötzlich ein Gedanke. Er ging wieder zum Kleiesack hinüber, und diesmal hatte sein Gesicht einen entschlossenen Ausdruck, seine Schritte waren fest und sicher. Er füllte seine Taschen mit Kleie.
    Queen war ihm auf der anderen Seite gefolgt und beugte den Kopf erwartungsvoll über ihre Futterkrippe.
    Tom trat neben sie und redete liebevoll auf sie ein. Aus den Augenwinkeln sah er zu dem Fohlen hinüber. Seine Augen weiteten sich beim Anblick des Fohlens: Es stand wackelig und unsicher auf seinen langen dünnen Beinen. Der Kopf schien viel zu groß für das winzige Körperchen. Es guckte ihn mit großen erstaunten Kinderaugen an. Tom spürte, daß ihn noch nie in seinem bisherigen Leben etwas derartig überwältigt hatte. Dieses kleine Geschöpf wollte er liebhaben, beschützen, hegen und pflegen!
    In diesem Moment strauchelte das Kleine und fiel wieder ins Stroh zurück. Impulsiv sprang Tom herbei, umfing und stützte den feuchten, kleinen Körper. Aber da kam auch schon die Stute wieder mit gebleckten Zähnen und flach zurückgelegten Ohren auf ihn zu.
    Schnell richtete er sich aus seiner gebeugten Haltung auf. Queen hielt vor seiner erhobenen Hand, blinzelnd und unsicher.
    «Ich will deinem Kind nichts tun, das weißt du doch!» Er bot ihr Kleie aus seiner Tasche an, und sie fraß, während er unaufhörlich beruhigend auf sie einredete.
    Zitternd hatte sich das Fohlen unterdessen wieder bemüht, auf die Beine zu kommen. Tom betrachtete es entzückt. Die Beinchen waren gerade, der Körper schön und gesund. Und es war — tatsächlich! — es war ein kleiner Hengst!
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher