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Rotes Pferd mit schwarzer Mähne

Rotes Pferd mit schwarzer Mähne

Titel: Rotes Pferd mit schwarzer Mähne
Autoren: Walter Farley
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Jimmy Creech hatte sich so innig ein Hengstfohlen gewünscht!
    Das Kerlchen stelzte steifbeinig und stolpernd durch das Stroh auf seine Mutter zu. Dann verwickelten sich die unsicheren Beine in langen Strohhalmen, und es fiel erneut hin. Ein paar Minuten lag es still, dann rappelte es sich wieder hoch.
    Tom stützte es. Queen senkte ihren Kopf und schnupperte am Boden nach den Kleieresten. Tom sah auf das feuchte, mit Stroh verklebte Fell des Neugeborenen. Schnell nahm er eine Handvoll Kleie aus der Tasche und ließ sie über den Körper rieseln. «Nun lecke es schön trocken!» sagte er zu der Stute und schob ihr das Kleine behutsam zu. Ohne zu zögern, tat sie, was er erhofft hatte.
    Tom stützte das schwankende Körperchen und reinigte sorgsam die Nüstern mit dem Taschentuch.
    Das Tierchen ließ sich die Fürsorge seiner Mutter und des ersten Menschen, den es zu sehen bekam, gern gefallen. Sein samtweiches Maul fuhr neugierig über Toms Gesicht und Brust.
    «Du hast Hunger, schau, hier ist deine Mama!» sagte Tom leise und schob es sanft an Queens Seite, damit es trinken lernte. Der Stute reichte er eine Handvoll Kleie aus seiner Tasche.
    «Gleich bekommst du deinen Brei, meine Gute», sprach er ihr zu. «Ich weiß zwar nicht, ob ich alles richtig mache. Das Schlimmste ist jedenfalls überstanden. Und du hast ein bildschönes Kind!»
    Als Tom eine Weile später den Stall verließ, ging eben die Sonne auf. Es war ein herrlicher Morgen, und er wußte jetzt so genau, was er in den nächsten Stunden zu tun hatte, als hätte er es schon mehrmals getan. Nach Jimmys Anweisungen mischte er Kleie, Salz und kochendes Wasser. Dann sah er sich nach einem weichen Tuch um, ergriff nach kurzem Zögern zwei Küchentücher und lief zum Stall zurück.
    Die Stute war gerade dabei, die letzten Reste der Kleie aus dem Fell des Fohlens zu lecken. Wieder sah Tom Furcht und Unsicherheit in ihren Augen. Aber jetzt blieb keine andere Möglichkeit — sie mußte seine Gegenwart akzeptieren. Er trat unter freundlichem Zureden zum Fohlen und legte seine Hände auf den noch immer zitternden Körper.
    Die Stute schnaubte, als Tom mit dem Tuch über den Rücken des Fohlens fuhr, aber er fuhr fort, ständig liebevoll auf sie einzusprechen. Als er fertig war, sah er zu, wie das Fohlen saugte. Die Stute blickte Tom an, diesmal ohne jede Furcht; sie war jetzt sicher, daß er ihrem Kind nichts Böses tun würde. Er ging, ihren Kleiebrei zu holen. Sie trank gierig. Für Stute und Fohlen würde es das beste sein, sie auf die Weide hinauszubringen, überlegte Tom. Die Sonne würde das junge Tier vollends trocknen, und im Gras würden seine dünnen Beinchen an Sicherheit gewinnen. So machte er die Tür weit auf. Queen folgte i hm ohne Zögern hinaus in den lockenden Sonnenschein, hielt inne, sah sich um und wieherte.
    Aus dem Halbdunkel des Stalles tauchte das Fohlen auf, blieb zögernd im Türrahmen stehen und blinzelte in das helle Tageslicht. Queen wieherte erneut und senkte den Kopf, um zu grasen. Das Fohlen stakte auf seinen steifen Beinen vorwärts, bis es mit den Vorderhufen an die Stufe der äußeren Tür stieß. Tom stützte es mit der einen Hand, während er mit der anderen einen Fuß nach dem anderen hob und dem Fohlen so über das kleine Hindernis hinweghalf.
    Vorsichtig und zögernd ging es hinaus in die Sonne. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, bewegte es seinen schweren Kopf nur wenig. Aber seine Augen waren weit aufgerissen. Die Vorderbeine hielt es gespreizt, um seinen schwankenden Körper zu stützen. Staunend betrachtete es die Umgebung; es war der erste Tag seines Lebens, und alles war ihm neu.
    Tom saß völlig versunken da und erlebte mit, wie ein junges Geschöpf zum erstenmal die Welt anstaunte. Es war schwer zu erklären, was er fühlte. Er unternahm auch gar keinen Versuch, es zu tun. Ihm war etwas Schönes und Beglückendes geschenkt worden. Nicht einmal Jimmy Creech und Georg Snedecker kamen ihm in den Sinn.
    Über eine Stunde blieb Tom sitzen. Er beobachtete, wie die Unsicherheit allmählich wich und die ersten zielbewußteren Schritte unternommen wurden. Wenn sich der Kleine zu weit von der Mutter entfernte, stieß sie ein schrilles, verweisendes Wiehern aus. Schließlich jedoch wurde er müde, ließ sich vorsichtig ins Gras sinken und streckte sich wohlig in der Sonne aus.
    Jetzt erst stand Tom auf, ging zum Fohlen und kniete neben ihm hin. Es hatte die großen Augen geschlossen, atmete tief und schlief ruhig ein.
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