Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer
Autoren: Åke Edwardson
Vom Netzwerk:
waren aus dem Boden gestampft worden. Keine Stadt im heutigen Europa war so gemartert worden wie Göteborg. Wenn es unten in Örgryte oder draußen in Långeland noch Einwanderer gab, dann waren es Engländer, die bei Volvo arbeiteten, aber auf keinen Fall am Band. Hier oben arbeiteten nicht viele, jedenfalls nicht an einem Fließband. Vielleicht hatten die drei Menschen vor ihrem Tod Arbeit gehabt, nämlich in diesem Laden in Hjällbo. Vielleicht war nur einer von ihnen Kunde gewesen. Vielleicht waren sie etwas ganz anderes gewesen. Bald würde er es wissen. Dieser Fundort war der Tatort. Winter sah sich um. Drei der Gebäudewände bestanden aus Glas. In diesem Raum konnte nichts im Geheimen geschehen sein. Er war wie eine Bühne gewesen. Das ging Winter durch den Kopf, als er den Laden verließ. Wie für ein Publikum. Etwas, das früher oder später ein Publikum fesseln würde.

    Der Taxifahrer sah ihn wie aus einem Traum erwachend an, als Winter sich ihm näherte. Winter hatte sich im Laden einen ersten Eindruck verschafft und war dann sofort wieder hinausgegangen, um den Zeugen zu vernehmen.
    Der Fahrer saß in Ringmars Wagen. Er war weiß, was für einen Taxifahrer inzwischen ziemlich ungewöhnlich war. Vielleicht ein Student, doch eigentlich wirkte er dafür zu alt. Vielleicht ein Künstler, Schriftsteller. Winter kannte keine Schriftsteller, aber er vermutete, dass die meisten arm waren. Winter war nicht arm.
    Er stellte sich dem Mann vor und der Taxifahrer nannte seinen Namen:
    »Reinholz … Jerker Reinholz.«
    »Ich muss Ihnen einige Fragen dazu stellen, was Sie gesehen haben«, sagte Winter. »Könnten Sie bitte aussteigen?«
    Reinholz nickte und stieg aus. In seinen Augen blitzte es auf, als sie vom Sonnenlicht wie von einem Scheinwerfer getroffen wurden. Er zuckte zusammen und machte einen Schritt zur Seite in den Halbschatten eines Ahorns. Winter hörte das trockene Rascheln der Blätter, die sich leise im Morgenwind bewegten. Am frühen Morgen kam meist Wind auf und verschwand dann wieder, vielleicht aufs Meer hinaus. Seit Winter mit seiner Familie zurück in Göteborg war, war es tagsüber nicht sehr windig gewesen, auch nicht bewölkt. Nur die Sonne hatte geschienen. Er sehnte sich schon nach Regen. Nach einem leisen, schwedischen Sommerregen, der Düfte mit sich brachte, die er am Mittelmeer vergessen hatte. Dort war der Regen anders gewesen, härter. Bei uns ist er weicher, hatte er gedacht. Auf uns soll weicher Regen fallen.
    Reinholz setzte sich eine dunkle Brille auf.
    »Mir ist es lieber, wenn Sie sie absetzen«, sagte Winter.
    »Äh … ja.« Reinholz nahm die Brille ab. Er schaute zum Himmel hinauf, wie um zu prüfen, ob sich die Sonne versteckte. Sie war immer noch hinter dem Ahorn verborgen.
    »Wann sind Sie hier eingetroffen?«, fragte Winter.
    »Das hab ich schon … jemandem erzählt«, antwortete Reinholz und machte eine Handbewegung zum Laden. Winter sah, wie sich die Polizisten in dem blauen und gelben Licht bewegten. Wie auf einer schwedischen Bühne.
    »Erzählen Sie es mir bitte noch einmal«, sagte er und wandte sich wieder dem Fahrer zu, der eine schwarze Lederjacke trug. Während der langen Nachtschichten war eine dicke Jacke vermutlich die richtige Kleidung. Die Nächte hier waren anders als in Spanien.
    »Es … war gegen drei. Ein paar Minuten nach drei, glaub ich. Ich habe auf die Uhr gesehen, als ich aus dem Auto stieg.«
    »Okay, fahren Sie bitte fort.«
    »Ich bin über den Platz gegangen. Den Parkplatz.« Reinholz deutete mit dem Kopf zum Laden. Der sieht kleiner aus, dachte er. Komisch. Früher war der größer.
    »Was wollten Sie kaufen?«, fragte Winter.
    »Zigaretten. Ich wollte Zigaretten kaufen.«
    »Kannten Sie den Laden?«
    »Ja … ich hab hier … einige Male eingekauft. Wenn ich in der Nähe war.«
    »Warum hielten Sie sich jetzt in der Nähe auf?«
    »Hatte eine Fahrt nach Gårdsten rauf. Kanelgatan.«
    »Warum sind Sie diesen Weg zurückgefahren?«
    »Zur … ich weiß nicht, ich wollte zum Hauptbahnhof … tja, hab wohl einfach nicht drüber nachgedacht.« Er nickte nach Westen, zur Umgehungsstraße von Angered, die sich am Fluss entlangschlängelte. »Diese Strecke fahre ich immer.«
    »Weiter«, sagte Winter. »Sie haben den Parkplatz überquert?«
    »Mir ist aufgefallen, wie still es war. Sonst ist es zwar auch still, besonders nachts oder in der Morgendämmerung, aber diesmal war es irgendwie ungewöhnlich still.« Reinholz rieb sich ein Auge.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher