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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer
Autoren: Åke Edwardson
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Ausführung. Winter hatte erlebt, dass er hinterher, wenn es fast zu spät war, erkannte, dass der Mörder oder die Mörder sich draußen unter den Neugierigen befunden hatten. Fang sie. Er konnte sie mit Fragen fangen, versuchen, mit so vielen Menschen wie möglich zu sprechen. Ihm waren Polizisten zugeteilt, die in diesem Moment Befragungen durchführten. Der Menschenauflauf lichtete sich, als sich die Polizisten näherten.
    Jemand muss die Schüsse gehört haben, dachte er. Hier muss ein neuer Fußboden her. Wenn überhaupt. Vielleicht wird die Bude abgerissen. Es ist ja kaum mehr als eine Bude. Wie eine windschiefe Würstchenbude im Niemandsland. Dies hier ist Niemandsland. Er ging wieder hinaus und einmal um das Gebäude herum. Vom Laden führte ein Fußweg über ein Feld zu einer Wohnsiedlung, dahinter Bäume, Tannen, Ahorn und Birken. Winter folgte dem Weg, der nur ein geteerter Pfad war. Bis zu den Häusern waren es etwa zweihundert Meter, vielleicht hundertfünfzig. Der nächste Schritt würde sein, alle nördlichen und nordöstlichen Stadtteile abzusperren. Was irgendwie längst geschehen war.
    Als er sich weiter von der Straße entfernte, nahm er andere Gerüche wahr, Gerüche nach Gras, Gebüsch, Luft, intensiv in der Sonne, aber weicher als die Düfte am Mittelmeer. Hier roch es verschämter. Blonder. Ja, blonder. Vielleicht unschuldiger.
    Der Fußweg mündete in einen kleinen offenen Platz vor einem achtstöckigen Mietshaus, das neben anderen achtstöckigen Mietshäusern stand, die alle zur selben Zeit vor fast fünfzig Jahren erbaut worden waren. Die Häuser hatten hier gestanden und auf ihre Mieter gewartet, bis die Zeit reif war, oder bis die Welt reif war, wenn man es so sehen wollte. Dann waren die Leute gekommen, aus der Türkei, Syrien, Iran, Irak, aus afrikanischen Staaten, amerikanischen Staaten, vorwiegend aus Süd- und Mittelamerika. Jugoslawischen Staaten. Von dort, wo er stand, konnte Winter die Musik hören. Arabisch, Gesang, eine Frauenstimme, dieser spezielle schleppende Rhythmus. An den meisten Balkonen klemmten Satellitenschüsseln. So war das hier oben, die Satellitenschüsseln waren wie Augen und Ohren auf die alte Heimat gerichtet, in die Vergangenheit. Schweden war nicht ihr Land der Zukunft, jedenfalls nicht für die Älteren. Hier stand das Leben still. Mehrere Balkone waren wie Gärten mit Gewächsen gefüllt. Er sah sogar einige Palmen in Töpfen. Auch auf dem Platz vor ihm war keine Menschenseele zu sehen. Bald war es Vormittag, aber hier schien es immer noch Nacht zu sein.
    Plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich. Er drehte sich um.
    Hinter ihm in der Einmündung des Pfades stand ein Junge. Er hatte einen Tennisball dabei, den er auf der Erde aufprallen ließ. Das Geräusch hatte Winter gehört. Der Junge mochte zehn Jahre alt sein, vielleicht etwas älter, das war schwer zu erkennen. Er hatte dunkles Haar, das im Morgenlicht schwarz wirkte. Sein Blick war auf Winter geheftet oder auf etwas über ihm, auf das Gebäude. Winter sah sich um, aber er konnte keine Menschenseele entdecken, auch auf keinem Balkon. Als er sich wieder umdrehte, war der Junge verschwunden.
    Von einer Sekunde auf die andere war er verschwunden.
    Winter ging zu der Stelle, wo der Junge gestanden hatte. Niemand war auf dem Weg, der zum Laden führte, und auf den Feldern beiderseits des Weges war auch niemand zu sehen. Der Weg, gesäumt von Büschen, schlug einen Halbkreis um die Häuser, und Winter vermutete, dass sich der Junge im Gebüsch versteckt hatte. Er hatte keine Schritte gehört und hörte auch jetzt keine. Leichte Schritte, so leicht, dass er sie nicht gehört hatte. Leichte Schritte. Der Taxifahrer hatte sie gehört. Leichte Schritte hinaus in die Morgendämmerung.

    »Wir müssen an jeder Tür klingeln«, sagte Winter.
    Ringmar nickte.
    »Kann er es gewesen sein?«
    »Kann er was gewesen sein?«
    »Ein Zeuge. Der Zeuge.«
    »Wir haben ja nur die Aussage von dem Taxifahrer. Reinholz. Er könnte sich getäuscht haben.«
    »Mhm.«
    »Du glaubst es nicht, Bertil?«
    »Dass er sich getäuscht hat? Nein. Wenn die Sinne wachsam sind, dann in einer derartigen Situation. Nach dem, was er kurz zuvor gesehen hat.«
    »Da magst du Recht haben.«
    »Dann gibt es also einen Zeugen.«
    »Oder noch einen Mörder«, sagte Winter.
    »Oder noch einen Mörder«, bestätigte Ringmar.
    »Vor dem Laden ist kein Blut«, sagte Winter.
    »Vielleicht hat er sich geduckt«, sagte Ringmar.
    »Soll das ein Witz
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