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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel
Autoren: Tess Gerritsen
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niemand draußen auf dem Gehsteig, aber sie wußte, man beobachtete sie. Sie konnte es spüren. Sie wühlte in ihrer Handtasche, fischte eine Zigarette heraus und zündete sie an. Sie hatte gerade zwei Züge gemacht, da meldete sich plötzlich eine geisterhafte Stimme und sagte: »Machen Sie sie bitte aus.«
    Molly sah sich überrascht um. »Wie bitte?«
    »Ich habe gesagt, machen Sie sie aus. Das Rauchen im Wagen ist verboten.«
    Sie wurde rot und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.
    Dann entdeckte sie den kleinen Lautsprecher in der Trennscheibe.
    »Hallo? Können Sie mich hören?« fragte sie.
    Keine Antwort.
    »Falls ja, könnten Sie dann wohl die Klimaanlage abschalten? Ich friere hier hinten. Hallo, Mister? Fahrer?«
    Der kalte Luftstrom brach ab.
    »
Vielen Dank
«
,
sagte sie. Und mit unterdrückter Stimme: »Arschloch.«
    Dann fand sie den Schalter für die Fensterscheibe und ließ das Fenster einen Spalt herunterfahren. Der Geruch des Sommers in der Stadt wehte herein, heiß und schweflig. Die Hitze machte ihr nichts aus. Das war wie zu Hause. Wie in all den feuchten und schweißtreibenden Sommern ihrer Kindheit in Beaufort. Verdammt, sie brauchte jetzt eine Zigarette. Aber sie hatte keine Lust, über die kleine scheppernde Anlage mit ihm zu streiten.
    Der Wagen fuhr langsamer, hielt an. Aus dem Lautsprecher kam die Stimme: »Wir sind da. Sie können jetzt aussteigen.«
    »Was? Hier?«
    »Das Haus da vorne rechts.«
    Molly äugte hinaus. Ein dreistöckiges Haus aus braunem Sandstein. Die Fenster im Erdgeschoß waren mit Brettern vernagelt.
    Auf dem Gehsteig verstreut lagen Glasscherben. »Sie machen wohl Scherze«, sagte sie.
    »Die Eingangstür ist offen. Gehen Sie hoch in den zweiten Stock. Dann ist es die letzte Tür rechts. Sie brauchen nicht zu klopfen. Gehen Sie einfach hinein.«
    »Von so was wie dem hier hat Romy nicht gesprochen.«
    »Romy sagt, Sie machen mit.«
    »Ja, also …«
    »Das gehört nur zum Vorspiel, Molly.«
    »Was für’n Vorspiel?«
    »Denen des Kunden. Sie wissen ja, wie das ist.«
    Molly seufzte tief und starrte noch einmal zu dem Haus hinüber. Die Kunden und ihre Phantasien. Und was hatte dieser Kerl für einen beschissenen Wunschtraum? Es zwischen Kakteen und Kakerlaken mit ihr zu treiben? Ein bißchen Gefahr, ein bißchen im Dreck wühlen, damit es etwas aufregender wurde? Warum paßten die Phantasien ihrer Kunden nie zu ihren eigenen? Ein sauberes Hotelzimmer, ein kleiner Whirlpool.
    Richard Gere und Pretty Woman beim Sektschlürfen.
    »Er wartet.«
    »Ja, ich geh’ schon, ich geh’ schon.« Molly schob die Tür auf und stellte die Füße auf den Bordstein. »Und Sie warten auf mich, ja?«
    »Genau hier.«
    Sie sah zum Haus und atmete tief durch. Dann stieg sie die Stufen hoch und ging hinein.
    Drinnen sah es so schlimm aus, wie sie von außen geahnt hatte.
    Schmierereien an den Wänden, überall Zeitungsfetzen auf dem Boden. Rostende Sprungfedern. Eine einzige Müllhalde.
    Sie stieg die Treppen hinauf. Es war unheimlich still im ganzen Haus, und das Klappern ihrer Schuhe hallte im Treppenhaus wider. Als sie im ersten Stock war, waren ihre Handflächen feucht.
    So etwas machte alles andere als einen guten Eindruck. Überhaupt keinen guten.
    Sie blieb am Treppenabsatz stehen und sah hinauf zum nächsten Stockwerk.
In was, zum Teufel, hast du mich da hineingebracht, Romy? Was ist das überhaupt für ein Kunde?
Sie wischte die feuchten Hände an der Bluse ab, holte noch einmal tief Luft und nahm die nächsten Stufen. Im dritten Stock blieb sie am Ende des Flurs vor der letzten Tür rechts stehen.
    Aus dem Zimmer drang ein Summen – eine Klimaanlage? Sie öffnete die Tür.
    Ein Schwall kühler Luft schlug ihr entgegen. Sie ging hinein und stellte angenehm überrascht fest, daß sie in einem Zimmer mit seinerzeit einmal ganz weiß gestrichenen Wänden stand. Mitten im Raum stand so etwas wie ein Untersuchungstisch, wie sie ihn aus der Arztpraxis kannte. Er war mit braunem Vinyl bezogen.
    Von der Decke hing eine Lampe von gewaltigen Ausmaßen. Weitere Möbel gab es nicht, nicht einmal einen Stuhl.
    »Hallo, Molly.«
    Sie wirbelte herum und suchte den Mann, der gerade ihren Namen genannt hatte. Doch niemand sonst war im Zimmer.
    »Wo sind Sie?« wollte sie wissen.
    »Keine Angst. Ich bin nur ein bißchen scheu. Ich möchte dich erst einmal ansehen.«
    Mollys Blick fiel auf einen Spiegel an der weiter von ihr entfernten Wand. »Sie sind dahinter, nicht? Ist das so eine
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