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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel
Autoren: Tess Gerritsen
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Element da draußen würde ihn reinigen, seine Hände von all dem Blut säubern.
    Von hinten näherten sich Schritte. Jemand rief: »
Halt!
«
    Mit drei schnellen Sätzen stand Mackie vor dem hellen Rechteck.
    Glas zersplitterte in tausend Stücke. Die kalte Luft pfiff um sein Gesicht, und alles war weiß. Ein schönes, kristallenes Weiß.
    Und er stürzte.

2
    Draußen war es glühend heiß. Doch der Fahrer hatte die Klimaanlage voll aufgedreht, und Molly Picker saß fröstelnd auf dem Rücksitz des Wagens. Die kalte Luft blies in Kniehöhe aus den Lüftungsschlitzen und fuhr ihr messerscharf unter den Minirock. Sie beugte sich vor und klopfte gegen das Plexiglas der Trennscheibe.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie. »Hey, Mister. Könnten Sie wohl die Klimaanlage herunterdrehen? Mister?« Sie klopfte noch einmal.
    Der Fahrer schien sie nicht zu hören. Vielleicht ignorierte er sie auch. Außer seinem blonden Hinterkopf sah sie nichts von ihm.
    Bibbernd schlang sie die nackten Arme um die Brust und rutschte zur Seite, weg vom Luftstrom. Am Fenster glitten die Straßen von Boston vorbei. Sie nahm die Gegend gar nicht richtig wahr, aber sie wußte, daß sie in südlicher Richtung fuhren.
    Das hatte jedenfalls auf dem letzten Straßenschild gestanden: Washington Street, South. Jetzt fiel ihr Blick auf Häuser wie Kästen und vergitterte Fenster. Davor saßen Männer mit verschwitzten Gesichtern auf den Veranden. Noch nicht einmal Juni, und die Temperaturen gingen schon auf die dreißig Grad zu. Molly mußte sich nur die Leute auf der Straße ansehen, dann wußte sie schon, wie heiß es war. Ihre herunterhängenden Schultern, ihre zeitlupenhaften Bewegungen auf den Gehsteigen. Molly sah sich gerne Leute an. Meistens die Frauen, denn die fand sie viel interessanter. Sie musterte ihre Kleider und fragte sich, warum einige in der Sommerhitze Schwarz trugen, warum die Fetten unter ihnen mit ihren dicken Hinterteilen ausgerechnet bunte Stretchhosen anhatten und warum heutzutage niemand einen Hut trug. Sie beobachtete, wie die Hübschen sich bewegten, wie ihre Hüften dabei leicht schwangen und ihre Füße perfekt auf hohen Hacken balancierten. Über was für Geheimnisse verfügten hübsche Frauen, die ihr selbst nicht vertraut waren? Was hatten ihre Mamas ihnen beigebracht, was Molly nicht gelernt hatte? Sie sah sich lange und genau ihre Gesichter an und hoffte auf tiefere Einblicke, was es denn eigentlich war, das eine Frau schön erscheinen ließ und die andere nicht. Was für eine besondere Ausstrahlung sie hatten, die sie, Molly Picker, nicht besaß.
    Der Wagen hielt an einer roten Ampel. Vorn an der Ecke stand eine Frau auf hohen Plateausohlen, die Hüfte weit vorgeschoben. Eine Nutte, genau wie Molly, aber älter – vielleicht achtzehn, mit glänzend schwarzem Haar, das ihr dicht auf die bronzefarbenen Schultern fiel. Schwarze Haare hätte sie auch gerne, dachte Molly sehnsüchtig. Das machte etwas her. Es war keine Sowohl-als-auch-Farbe wie bei Mollys schlaffen Strähnen, die weder blond noch braun waren und nach überhaupt nichts aussahen. Die Fenster ihres Wagens waren dunkel getönt, und das schwarzhaarige Mädchen konnte nicht sehen, wie Molly sie anstarrte. Doch sie schien es zu spüren, denn langsam drehte sie sich auf ihren Absätzen um und schaute zu ihr.
    So hübsch war sie gar nicht.
    Molly lehnte sich zurück und war komischerweise enttäuscht.
    Der Wagen bog nach links ab und fuhr in südöstlicher Richtung weiter. Sie waren inzwischen weit weg von Mollys Heimatbezirk und auf dem Weg in eine ihr zugleich unbekannte und furchteinflößende Gegend. Die Hitze hatte die Leute aus ihren Wohnungen vor die Tür getrieben. Sie saßen jetzt in ihren schattigen Eingängen und fächelten sich Kühle zu. Ihre Blicke folgten dem vorbeifahrenden Wagen. Sie wußten, daß er nicht in ihre Gegend gehörte. So, wie Molly wußte, daß sie nicht hierhergehörte. Wohin schickte Romy sie denn nur? Er hatte ihr keine Adresse genannt. Normalerweise bekam sie eine hingekritzelte Hausnummer in die Hand, und sie mußte dann selbst zusehen, wie sie ein Taxi organisierte. Doch diesmal hatte ein Wagen vor der Tür auf sie gewartet. Und auch noch ein sauberer. Ohne die einschlägigen Flecken auf dem Rücksitz und ohne zusammengeknüllte, stinkende Papiertaschentücher im Aschenbecher. Alles sauber und ordentlich. In so einem sauberen Wagen hatte sie noch nie gesessen.
    Der Fahrer bog nach links in eine schmale Straße. Hier saß
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